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Sitzungskarneval abgesagt, Straßenkarneval verboten, Kneipen geschlossen, aber die Kölner Oper rettet mit ihrem Stream des Divertissementchens „Corona Colonia“ den Kölner Karneval!
Eigentlich waren 30 Vorstellungen angesetzt, die traditionell immer ausverkauft sind. Das Spektakel „Corona Colonia“ des Kölner Männer-Gesangsvereins, Kult unter Karnevalsbegeisterten wie auch Opernfreunden, wird in der Zeit vom 18. Januar 2021, 19.00 Uhr bis 18. Februar 2021 (Karnevalsdienstag) , 23:59 Uhr durchgehend „on demand“ gestreamt, die Premiere am 18. Januar 2021 kam um 19.00 Uhr als Live-Stream. Die Aufführung mit der alternativen Besetzung wird am Karnevalssamstag vom WDR 3 Fernsehen gesendet. Das Corona-taugliche Spektakel mit vielen Video-Einblendungen greift die Einschränkungen durch die Pandemie auf und setzt sich mit ihnen auseinander.
Es geht gleich los mit einem Medley bekannter Karnevalsmelodien, zum Beispiel von den Bläck Fööss und den Höhnern, von denen in Köln jeder Karnevalist wenigstens den Refrain singen kann. Die wilde Mischung der Stücke hat Thomas Guthoff mit überbordender Musikalität arrangiert.
Orchester sind die Westwood Slickers, eine Combo mit Trompete, Posaune, Saxophon, Gitarre, Keyboard und Bass unter der Leitung von Steffen Müller-Gabriel. Sie ist über der Bühne aufgestellt, darunter werden im Bühnenbild von Tom Grasshof und Wolfgang Fey mit beweglichen Versatzstücken die Wohnzimmer der Protagonisten, später die Probenräume in der Wolkenburg und die Showbühne für den Schönheitswettbewerb und für das Finale angedeutet, wobei die Lichteffekte von Hans Toelstede die Atmosphäre zaubern. Die Kostüme von Judith Peter zitieren Kleiderordnungen der 60-er Jahre, Frauen mit Kittelschürzen und Chanel-Kostümchen.
Formal handelt es sich um eine schnelle Revue mit Spielszenen, wobei das Ballett und die Chöre je nach Stand der Corona-Restriktionen mehr oder weniger stark besetzt werden können.
Es gibt drei Handlungsstränge:
1. Die Sänger des Kölner Männergesangsvereins können nicht mehr dreimal in der Woche zu ihren Proben gehen und gehen ihren Frauen auf den Wecker. Nach der Einrichtung von Zoom-Proben online und Proben auf Abstand in der Wolkenburg, ihrem Vereinsheim, bringen sie trotzdem ein tolles Divertissementchen zustande.
2. Die Heilige Corona besucht mit ihren Dienern CO und VID die Stadt Köln, korrumpiert die Männer mit Corona-Freibier und Corona-Zigarren und verleitet sie zu einem Beauty-Contest à la „Germany´s next top Model“ in der Disziplin „Best Man Best Woman“ für den besten als Frau verkleideten Mann.
3. Es gibt Video-Einspielungen der Nachrichtensendungen, die mit Sondersendungen den Stand der Pandemie kommentieren und bebildern. Schon die Namen der Moderatoren Rudi Schwaadschnüss und Tommy Klaafmuhl oder des Experten Dr. Dr. Erlenkotter zeigen, dass der Respekt vor dem CTL -Fernsehsender durchaus zu wünschen übrig lässt. Auch das Interview mit dem chinesischen Botschafter hat Dada-Qualität und nimmt die gängigen Bebilderungsformate von Nachrichten gnadenlos aufs Korn. Das Statement des Botschafters (Gereon Dai): „Wir sind ja gerne bereit, die Kölner Oper fertig zu bauen, aber es lohnt sich der Transport der Fachleute nicht, weil die in drei Tagen damit fertig werden“, sorgt für ausgelassene Freude. Auch der Kölner Kardinal Woelki, wunderbar getroffen und dargestellt von Heinrich Suttrup, wirkt per Videoeinspielung mit seinem Pressesprecher Manfred Huber-Beckerty (Jürgen Pfitzner) mit.
Der künstlerische Leiter des Kölner MGV Jürgen Nimptsch, der früher immer nach der Pause in einem großen Extempore à la „Frosch“ in der „Fledermaus“ tagesaktuelle Ereignisse kommentierte, ist mit seiner Einführung zum Stück auf der Seite der Oper Köln abrufbar, denn es würde den Rahmen von 90 Minuten ohne Pause sprengen: https://www.oper.koeln/de/Streaming.
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Das rauschende Finale „Affstand mit Anstand“ gibt dem Ballett (Choreografie: Jens Hermes und Katrin Bachmann) und dem ganzen Chor, teilweise als Videoeinspielung, die Gelegenheit richtig aufzutrumpfen. Mutter Colonia im Kostüm der Kölner Jungfrau aus dem Dreigestirn vermittelt, und der Frieden ist wiederhergestellt.
Lajos Wenzel vom Contra-Kreis-Theater Bonn ist für Libretto und Regie verantwortlich, die Rollen werden alle ausnahmslos von Männern der Spielgemeinschaft des Kölner Männergesangsvereins gespielt. Die Liedtexte- überwiegend auf Karnevalshits und Schlager und ein paar Konzert- und Opernzitate– haben Johannes Fromm und Manfred Schreier verfasst. Es wird auf Kölsch gesungen (mit hochdeutschen Untertiteln) und gesprochen. Menschen wie ich, für die Kölsch die Muttersprache ist, blühen auf, für Nicht-Rheinländer ist der Wortwitz mitunter nicht zu verstehen. Die Kölner Karnevalsschlager sind gerne sentimental, ich habe am Schluss vor Rührung geweint.
Aus der absolut typgerecht besetzten Darstellerriege ragen heraus Martin E. Hillebrand als Heilige Corona, Benedikt Schwerdtfeger und Michael Kirst als ihre Diener CO und VID, Dirk Pütz als Cäcilia, Johannes Fromm als Heinz-Georg und Peter Klaff als Mutter Colonia, die absolut souverän ihre Schlussansprache hält. Der Star ist der große Chor, der in Fräcken auf der Domplatte und am Rheinufer singend zum Teil per Video eingespielt wird.
Unter der technischen Gesamtleitung von Volker Rhein entfacht sich ein Feuerwerk von witzigen Einfällen und Selbstironie, was sowohl die eigene Rolle als Chorsänger und Frauendarsteller angeht als auch ihr Verhältnis zur Staatsmacht und den rheinischen Katholizismus betrifft.
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Veranstalter ist diesmal die Oper Köln, die der kölschen Brauchtumspflege ihre Bühne und ihre Technik zur Verfügung stellt und den Kölner Männergesangsverein in ihr Staatenhaus 1 eingeladen hat. Am 18. Januar 2021 um 19.00 Uhr fand die digitale Streaming-Premiere von „Corona Colonia“ statt. Das Streaming wird mit freundlicher Unterstützung des Kuratoriums der Oper Köln und der Freunde der Kölner Oper e.V. ermöglicht.
Alle Informationen zum Streaming und zu Ihrem digitalen Ticket finden Sie bei der Oper Köln: https://www.oper.koeln/de/Streaming.
Der Kölner Männer-Gesang-Verein wurde am 27. April 1842 gegründet. Er hat ca. 600 Mitglieder, davon 150 aktive Sänger, die gemäß Satzung in wöchentlichen Proben und spektakulären Konzerten ein enorm breit gefächertes Repertoire pflegen. Für den Einsatz beim Divertissementchen, das es seit 1874 gibt, wird auch ein Ballett mit 16 Tänzern trainiert.
Themen für die Spektakel, die in einer wilden Mischung Karnevalsschlager, Pop-Musik, Opern- und Klassikmelodien, Musical-Hits und deutsche und internationale Schlager verknüpfen, sind aktuelle Ereignisse wie 2021 die Corona-Pandemie, 2020 Beethoven, 2019 Offenbach und 2012 Lohengrin.
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Man kann den Kölner Männergesangsverein am ehesten mit den „Meistersingern von Nürnberg“ vergleichen, was ihren beruflichen Hintergrund betrifft: sehr viel „Mittelstand“, wie Optikermeister, Wirtschaftsprüfer und Schulleiter, die ihre Liebe zur Chormusik und zur Pflege der kölschen Sprache und des kölschen Brauchtums verbindet. Website: https://www.kmgv.de/koelner-maenner-gesang-verein.html
Wer aktiv mitsingen möchte muss nach einer professionellen Vorbereitung und einer Eingangsprüfung mindestens einmal pro Woche zu den Proben kommen. Musikalisch wird der Chor von Vollprofis geleitet. Dirigent und musikalischer Leiter ist seit 2001 der 1963 geborene Bernhard Steiner, der in der Regel auch das Divertissementchen dirigiert. Die aktiven Sänger werden durch Christopher Brauckmann, seit 2011 Assistent des musikalischen Leiters, im KMGV trainiert.
Die Künstlerische Gesamtleitung hat Jürgen Nimptsch, Autodidakt und eigentlich gelernter Studienrat für Deutsch und Sport, Gewerkschafter und von 1996 bis 2009 Schulleiter der ersten Bonner Gesamtschule. Er war vom 30.8.2009 bis 20.10.2015 direkt gewählter SPD-Oberbürgermeister von Bonn, der seit 2017 wieder als „Baas“, das heißt, Spielleiter und auch Hauptdarsteller der „Cäcilia Wolkenburg“ bei den Divertissementchen in Erscheinung tritt.
Natürlich kann man den MGV nicht mit einem professionell ausgebildeten Opernchor vergleichen, die Arrangements sind eher schlicht und greifen mit einer hemmungslosen Musikalität Karnevalslieder, Hits der Opern- und Konzertliteratur, aber auch deutsche und internationale Schlager und Popsongs auf. Den Übergang vom Karnevalssong zum Finale der „Meistersinger“ muss ihnen erst mal einer nachmachen!
Für Rheinländer ist das Divertissementchen ein Muss in der fünften Jahreszeit, gerade, wo es sonst nichts gibt. Streaming-Tickets unter: https://www.oper.koeln/de/Streaming
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Köln / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Köln/Corona Colonia/Foto @ Paul Leclaire