Oper Bonn: Premiere von „Fidelio“ am Neujahrstag

Oper Bonn/FIDELIO/ Chor/Foto © Thilo Beu

Die Inszenierung der einzigen Oper Beethovens von Volker Lösch in Bonn stellt sich bewusst dem Anspruch, die Wirklichkeit abzubilden und mit Mitteln des Theaters in Kombination mit Video-Technik das Publikum aufzurütteln und zum Handeln zu motivieren.

 

Dirk Kaftan und das Beethoven-Orchester , der Chor und die Solisten bringen die gesamte Musik der Oper zum Erklingen, aber die Dialoge sind durch Interviews mit echten Zeitzeugen ersetzt, die von eigenen Erlebnissen als politische Gefangene in türkischen Gefängnissen berichten und sich für die Freilassung von in der Türkei inhaftierten Angehörigen einsetzen. Diese Inszenierung polarisiert. Einige Besucher wollen sich auf die Problematik der politischen Gefangenen und auf die zum Teil krassen Bilder nicht einlassen und protestieren. Die anderen aber sind begeistert und feiern nicht nur die hervorragenden Sängerinnen und Sänger, den Chor und das Beethoven-Orchester, sondern auch die Zeitzeugen, die ihr Anliegen vortragen.

Die Produktion schreit danach, für das Fernsehen aufgezeichnet zu werden, denn es wird die Technik von Nachrichtenmagazinen eingesetzt. Das Bühnenbild ist eine Green Box, auf der rechten Seite steht ein Konferenztisch, an dem die Zeitzeugen Doğan Akhanli, Süleyman Demirtas, Hakan Akay, Agît Keser und die wunderbare Dîlan Yazicioğlu mit dem Moderator Matthias Kelle und den Solisten sitzen. Es gibt zwei Kameraleute, die die Sprecher filmen, die Bilder werden auf eine große über der Bühne angebrachte Leinwand projiziert. Auf diese Leinwand werden aber auch Filme von teilweise drastischen Nachrichtenbildern eingespielt.

Der Zuschauer sieht die Sänger in echt vor dem grünen Hintergrund, auf der Leinwand befinden sie sich in einem konkreten Raum, zum Beispiel in einem Einkaufszentrum oder vor einer brennenden Türkei-Karte. Die in Fernsehstudios praktizierte Technik wird von den Kameraleuten Krzysztof Honowski und Chantal Bergemann nach dem Videodesign von Christpher Kondek und Ruth Stoffer ausgeführt.

Oper Bonn/FIDELIO/Kieran Carrel (Jaquino); Marie Heeschen (Marzelline); Karl-Heinz Lehner (Rocco); Mark Morouse (Don Pizarro); Martina Welschenbach (Leonore); Chor/© Thilo Beu

Das Bühnenbild von Karola Reuther entsteht durch die Einspielung von Videomaterial jedes Mal neu in der Green Box. Die Kostüme von Alissa Kolbusch zitieren die Dienstkleidung von deutschen Gefängniswärtern, heutige Straßenkleidung und grüne Overalls, die die Gefangenen in der Green Box unsichtbar machen.

Es entwickelt sich nach der bebilderten Ouvertüre eine szenisch-musikalische Collage von Zeitzeugen-Statements und Szenen aus Beethovens Oper mit starken Bildern und Verfremdungen, die letzten Endes in der großartigen Utopie: „Heil sei dem Tag, Heil sei der Stunde …“ gipfelt. Einige Zuschauer sind mit der Fülle der Bilder und vor allem mit den krassen Aussagen der Zeitzeugen überfordert und gehen raus. Am Ende frenetischer Applaus, aber auch einige Buhs für das Regieteam.

Die Beethoven-Projektgesellschaft hat die Produktion finanziell unterstützt, damit im Beethoven-Jahr 2020 eine würdige szenische Realisation von Beethovens einziger Oper verfügbar ist. Es wird auf Festspiel-Niveau gesungen und musiziert, aber der eingeschobene Text wird von vielen als zu lang empfunden.

Das Presseecho ist gewaltig, wobei die Rezensenten sich überwiegend auf die politische Aussage konzentrieren, aber auch die hohe Qualität der Sängerinnen und Sänger, des Opernchors und des Beethoven-Orchesters unter GMD Dirk Kaftan loben.

Wer eine konventionelle Inszenierung erwartet sollte lieber nach Köln gehen und sich die Inszenierung des Altmeisters Michael Hampe ansehen.

Der gesprochene Text wurde nach Interviews mit den Protagonisten vom Dramaturgen Stefan Schnabel und Regisseur Volker Lösch verfasst und wird von den Zeitzeugen frei vorgetragen. Doğan Akhanlis Bericht über seine Erfahrungen in Dunkelhaft, unmittelbar gefolgt von Florestans Arie: „Gott, welch Dunkel hier“ in einem komplett dunklen Kasten ist emotionaler Sprengstoff. Der aktuelle Gehalt von „Fidelio“ ist offensichtlich, die starke Musik macht die Utopie der Befreiung denkbar.

Leonore (Martina Welschenbach) mit klarem lyrisch-dramatischem Sopran ist die Protagonistin, die alles riskiert, um ihren Mann aus den Kerkern des bösen Pizarro zu retten. Sie wäre auch bereit, Pizarro zu erschießen, aber da kommt –Deus ex Machina – das rettende Signal. Ihre große Arie „Abscheulicher, wo eilst du hin“ ist Programm ihres Handelns. Diese Bravour-Arie singt sie im roten Kleid durch die Luft fliegend und Mauern sprengend dank der Green-Box-Technik.

Rocco (Karl-Heinz Lehner)mit seinem balsamisch-volltönenden Bass gestaltet einen glaubwürdigen Kerkermeister. Er ist der typische Mitläufer, der seinem Sicherheitsbedürfnis und seiner fast erotischen Liebe zum Geld alles unterordnet. Als Pizarro ihn nötigt, für Geld den unliebsamen politischen Gefangenen zu töten, setzt er eine klare rote Linie. Die Hungerfolter hat er gerade noch mitgetragen, aber „Morden“ kann er nicht.

Marzelline, (Marie Heeschen)mit silbrig glänzendem Koloratursopran Gegenentwurf zu Leonore, ist der Typ Frau, der sich ganz auf das Private konzentriert und die durch die Wahl des richtigen Ehemanns glücklich werden will. Dass ihr Vater ein problematisches Gefängnis leitet scheint sie nicht wahrzunehmen. Sie ist völlig naiv und unpolitisch. Natürlich verliebt sie sich in den jungen Fidelio und stößt damit ihren Verlobten Jacquino vor den Kopf. Sie bringt als Expertin für alte Musik Koloraturen und Verzierungen ein, die ich noch nie gehört habe.

Pizarro (Mark Morouse )mit seinem robusten Heldenbariton ist der skrupellose Machtmensch schlechthin, der über Leichen geht, um seinen persönlichen Vorteil zu sichern. Als Rocco sich weigert, den Staatsgefangenen umzubringen will er dieses schmutzige Geschäft selbst erledigen. Dabei ist er auch noch eitel und selbstsüchtig, denn er singt von der Rache an seinem Widersacher, dem er vor dem sicheren Tod noch ins Ohr schreien will, dass er der Mörder ist. „Er sterbe, doch er soll erst wissen, wer ihm sein stolzes Herz besiegt.“

Florestan (Thomas Mohr) ist das Opfer von Pizarros Intrigen. In seiner großen virtuosen Arie: „Gott, welch Dunkel hier“, bäumt er sich zunächst gegen sein Schicksal auf, um dann aber gottergeben seinen nahen Tod zu akzeptieren. In seiner Person konzentriert sich das Schicksal aller politischen Gefangenen. Sein immer noch strahlender Heldentenor trägt die Befreiungsszene und das Chorfinale wesentlich.

Jacquino, Marzellines Verlobter (Kieran Carrel) ist, ähnlich wie Marzelline, nur auf sein privates Glück fixiert. Seine Angst, Marzelline zu verlieren, ist Triebfeder seines Handelns. Sein frischer agiler Tenor wird für die erlesenen Ensembles des ersten Akts gebraucht. Das Quartett: „Mir ist so wunderbar“ ist magisch.

Der Minister (Martin Tzonev) verkündet mit markigem Bass Florestans Befreiung: „Euch, edle Fau allein gebührt es ganz, ihn zu befrei´n“. Er kommt aus dem Publikum und singt zunächst von seinem Platz in der Mitte der 5. Reihe. Hat Beethoven noch an die ordnende Macht des Staates geglaubt, so deutet die Inszenierung hier schon an, dass alle Menschen die Stimme gegen Folter und Unterdrückung erheben sollen.

Der großartige Bonner Opernchor unter der Leitung von Marco Medved verleiht den Wachen beziehungsweise Gefangenen und am Schluss dem Volk in Beethovens Musik überwältigenden Klang. Medved arbeitet die fugenartigen Sätze präzise aus, es ist ein Vergnügen, diesen Chor zu erleben.

Dirk Kaftan / Foto @ Irene Zandel

Dazu trägt wesentlich das straffe Dirigat von GMD Dirk Kaftan bei, der die großen Bögen von Beethovens Musik mit Spannung auflädt. Das Beethoven-Orchester spielt inspiriert die Musik seines Namensgebers.

Es gibt übrigens keine Ketten, die Gefangenen tragen grüne Overalls, die sie in der Green Box praktisch unsichtbar machen, ihre Befreiung konkretisiert sich darin, dass sie die Overalls ablegen und in Straßenkleidung wieder sichtbar werden.

„Kunst ohne Anbindung an das Draußen, an die Zeit, in der ich lebe, finde ich sinnlos“, so der Regisseur Volker Lösch bei der Einführungsmatinee am 15.12.2019 zur Neuinszenierung von Beethovens „Fidelio“ in der Oper Bonn. Diesen Anspruch hat er eingelöst, wenn auch die Fülle der Bilder und Informationen im Einzelfall die Zuschauer überfordert hat.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Bonn/FIDELIO/Kieran Carrel (Jaquino); Marie Heeschen (Marzelline); Karl-Heinz Lehner (Rocco); Mark Morouse (Don Pizarro); Martina Welschenbach (Leonore); Chor/Foto © Thilo Beu

 

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