Kölner Philharmonie – Konzert mit Martin Grubinger und der Bremer Kammerphilharmonie unter Tarmo Peltokoski

Haupteingang der Kölner Philharmonie
©KölnMusik/Guido Erbring

Martin Grubinger rockt die Kölner Philharmonie – Konzert mit der Bremer Kammerphilharmonie unter Tarmo Peltokoski

Einen so orkanartigen Beifall habe ich in der Kölner Philharmonie noch nie erlebt. Martin Grubinger, der das Schlagwerk neu definiert hat, spielte am 7. Juni 2023 das Schlagzeugkonzert „Speaking Drums“ von Peter Eötvös aus dem Jahr 2014 mit der Bremer Kammerphilharmonie unter dem 23-jährigen Dirigenten Tarmo Peltokoski. Mit 40 beendet Martin Grubinger seine Ausnahmekarriere als Percussionist auf dem Höhepunkt seiner Karriere.  Seine Konzerte, die er in diesem Sommer gibt, sind alle so gut wie ausverkauft. (Konzert v. 7. Juni 2023)

 

Nach zwei Jahrzehnten auf der Konzertbühne mit klassischen Spitzenorchestern wie den Wiener Philharmonikern, dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Mahler Chamber Orchestra und dem WDR-Sinfonieorchester, wo ich ihn mit Tan Duns Schlagzeugkonzert „Tears of Nature“ aus dem Jahr 2012 erleben konnte, macht der Weltstar des Schlagwerks sein Vorhaben wahr, sich mit 40 vom Konzertbetrieb zu verabschieden. Die bis zum September dauernde Abschiedstournee umfasst auch Programme mit seinem Percussive Planet Ensemble, mit denen er ganze Arenen füllt.

Martin Grubinger / Foto ©Simon Pauly

Peter Eötvös hat Martin Grubinger sein Konzert „Speaking Drums“ auf den Leib geschrieben und mit ihm zusammen die Instrumente, die zum Einsatz gebracht werden, ausgewählt, darunter ein Xyolophon, verschiedene Trommeln, ein Blechteller und ein Verkehrsschild. Er bringt die Trommeln zum Sprechen und fordert zugleich den Einsatz der menschlichen Stimme. Vier Gedichte, die allerdings nur als Textrhythmus, den der Solist mit seinen Instrumenten aufgreift und in sinnfreien Lauten wie einem Löwengebrüll deklamiert, vorkommen, sind Inspiration dieses „Speaking Drums. Four poems for percussion solo and orchestra“. Der Komponist spürt dem Wesen der Lyrik des Ungarn Sandor Weöres (1913-1989) und des indischen Dichters Jayadeva aus dem 12. Jahrhundert nach und verwendet virtuose Elemente wie eine Kadenz des Xyolphons, ein Solo der Triangel und einen Dialog des Schlagzeugs mit der Trompete. Kongenial begleitete der 23-jährige Dirigent Tarmo Peltokoski mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen die Performance, die das Publikum zu tosendem Applaus führte.

Der Ragtime, den Solist und Orchester mit dem Xylophon als Melodieinstrument als Zugabe präsentierten riss alle von den Stühlen. „Wir haben mit Ihrer Reaktion so nicht gerechnet. The same, but faster!“ endete vor der Pause mit gefühlt 1.200 Schlägen pro Minute. Eingerahmt wurde dieser Auftritt von der „Fantasia über ein Thema von Thomas Tallis“ von Ralph Vaughan Williams aus dem Jahr 1909 und der „Schottischen“ Sinfonie Nr. 3 a-Moll“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Die Fantasia für Streichquartett und zwei Streichorchester projizierte den polyphonen Charakter und die doppelchörige Anlage der kirchlichen Vokalmusik des englischen Renaissance-Komponisten auf die Streichinstrumente und deklinierte die Regeln des Kontrapunkts mit zum Teil bitonaler Harmonik. Das zweite Orchester war im obersten Rang in platziert, was einen faszinierenden Raumklang ergab.

Tarmo Peltokoski /Foto  © Peter Rigaud

Mit der 3. Sinfonie von Felix Mendelssohn-Bartholdy bewies der junge finnische Dirigent Tarmo Peltokoski, dass die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ein international führendes Orchester ist. Die Sinfonie, deren vier Sätze Mendelssohn aus der Keimzelle einer einzigen Melodie entwickelt, reflektiert den Charme des Vergänglichen. Der 20-jährige Mendelssohn wurde anlässlich einer Bildungsreise durch Schottland 1829 von der verfallenen, zum Teil von der Natur zurückeroberten Kapelle des Holyrood Palace von Maria Stuart in Edinburgh inspiriert. Angesichts der Ruine fiel ihm eine Melodie ein, die er in der Einleitung des ersten Satzes zitiert. Diese Melodie hat er erst zwölf Jahre später zu einer hochromantischen Sinfonie entwickelt, die seine Eindrücke von der schottischen Landschaft und Kultur beschreibt. Er hat sie selbst am 3. März 1842 mit seinem Gewandhausorchester Leipzig uraufgeführt. Der erste Satz mit seinem geheimnisvoll-schwermütigen Charakter gipfelt in einer Sturmszene, bei der man meint, der fliegende Holländer käme auf hoher See daher. Im zweiten Satz, einem heiteren Scherzo, bei dem das Klarinettenmotiv vom Orchester in einer Fuge durchdekliniert wird, verwendet der Komponist den „Scotch Snap“, ein rhythmisches Muster der Scotch Fiddle-Music als folkloristisches Element, ohne schottische Volksmusik direkt zu zitieren. Der dritte Satz handelt mit einer wunderschönen von den Streichern angespielten Melodie von Trauer und Trost, der vierte ist fiebrig-lodernd, fast schon dämonisch und könnte von den Hexen aus „Macbeth“ handeln. Auch hier sind alle Instrumentengruppen gefordert, es gibt dramatische Steigerungen und ein triumphierendes glückliches Ende.

Mendelssohn perfektioniert in dieser einzigen Sinfonie, die er selbst zum Druck gab, seine Meisterschaft der ausdrucksstarken Instrumentierung. Die Themen gehen von einer Instrumentengruppe zur anderen, werden vielfarbig variiert und gipfeln in großartigen Finali des gesamten Orchesters. Die hervorragenden Bläser, besonders der Klarinettist Maximilian Krome, aber auch die vier brillant artikulierenden Hörner und die glänzenden Trompeten überzeugten auf der ganzen Linie. Peltokoski, der 2018 von der Stiftung Pro Musica als „Junger Musiker des Jahres“ ausgezeichnet wurde, ist seit Februar 2022 der erste Principal Guest Conductor der Bremer Kammerphilharmonie und lotete die Dynamik dieser Sinfonie vom pianissimo bis zum Forte voll aus. Er baute über die vier ineinander übergehenden Sätze eine enorme Spannung auf und schuf mit Mendelssohns wunderschönen Melodien suggestive Bilder und dramatische Steigerungen mit großartigen Höhepunkten.

Peltokoski und die Bremer Kammerphilharmonie haben mit diesem Programm ein faszinierendes Konzerterlebnis geschaffen: das rhythmisch dominierte Konzert für Schlagzeug mit dem Starpercussionisten Grubinger wurde eingeleitet von einer polyphonen Komposition nur für Streicher, und am Ende triumphierte die ungeheuer farbige, melodienreiche, hochromantische a-Moll-Sinfonie Mendelssohns, die zu Recht als sein Meisterwerk gilt. Mit diesen Melodien konnte man beglückt nach Hause gehen.

 

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Ein Gedanke zu „Kölner Philharmonie – Konzert mit Martin Grubinger und der Bremer Kammerphilharmonie unter Tarmo Peltokoski

  1. Was für eine wunderbar geschriebene Rezension. Ich war selbst bei dem Konzert zugegen, und bin wirklich sehr beglückt nach Hause gegangen. Ich kann nur jedem wünschen, einmal Martin Grubinger erleben zu dürfen. Aber auch der junge finnische Dirigent Tarmo Peltokoski und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen brillierten an diesem Abend.

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