Koblenz: Welt-Uraufführung von „Wolf unter Wölfen“ – „Babylon Berlin“ auf der Opernbühne

Theater Koblenz/ Wolf unter Wölfen/ Foto @ Matthias Baus für das Theater Koblenz

Zehn Minuten begeisterter Applaus für die Welt-Uraufführung von „Wolf unter Wölfen“ von Søren Nils Eichberg am 23.11.2019 in der Oper Koblenz!

Das Paar Petra und Wolf steht im Mittelpunkt der spannenden Oper nach Hans Falladas 1937 erschienenen Roman „Wolf unter Wölfen“, der von John von Düffel  bereits 2009 zu einem Theaterstück verdichtet wurde. Vor dem Hintergrund des Tanzes auf dem Vulkan im Berlin des Jahres 1923 entfaltet sich ein Panoptikum gescheiterter Existenzen mit einem großartigen homogenen Ensemble, mitreißender Musik und beklemmender Aktualität. Ein Besuch im Theater Koblenz lohnt sich auf jeden Fall. Das Stück hat großes Potential, auch für größere Bühnen.( Besuchte Vorstellung: Premiere am 23.11.2019)

 

Am 30.11.1923 wurde die Mark von der deutschen Regierung durch die Rentenmark ersetzt. Das Briefporto von 50 Milliarden Mark wurde am 1. Dezember 1923 zu 5 Pfennig oder 0,05 Rentenmark. Die Not und die sozialen Verwerfungen, die durch die galoppierende Inflation erzeugt wurden, sind Thema dieses Stücks.

Für mich ist Petra die Hauptfigur, die sich als arbeitslos und obdachlos gewordene ehemalige Verkäuferin verzweifelt an den Spieler Wolf klammert, um ein Dach über dem Kopf zu haben, und die sich prostituiert, weil Wolf nicht in der Lage ist, das Geld für die Miete zu verdienen.

Theater Koblenz/ Wolf unter Wölfen/ Foto @ Matthias Baus für das Theater Koblenz

Die absolute Demütigung erfährt sie, als sie wegen illegaler Prostitution inhaftiert und als geschlechtskranke Geliebte eines Falschspielers beschimpft wird. Danielle Rohr gestaltet mit ihrem lyrischen Sopran dieses Schicksal einer sensiblen und verletzten Frau, die den sozialen Abstieg bis zur letzten Konsequenz erlebt, unfassbar anrührend. Selbst die Liebe bleibt ihr verwehrt, denn sie wirft sich Wolf nur an den Hals, um ein Dach über dem Kopf zu haben.

Ihr ebenbürtig verkörpert Tobias Haaks, gebrochener Heldentenor, den Spieler Wolfgang „Wolf“ Pagel, der die letzten Sachwerte seine Familie verhökert, um im Roulette sein Glück zu machen. Das Roulette ist die geniales Modell der galoppierenden Inflation: man weiß nicht, was man am nächsten Tag für sein Geld noch kaufen kann, die Kugel rollt in einer Abwärtsspirale.

Petra und Wolf eröffnen mit dem „Prolog aus der Zukunft“ die Reflektion ihrer Emanzipation durch die Bewältigung einer Krise. Im Gegensatz zu Falladas Roman lässt von Düffel es offen, ob Petra und Wolf wieder zusammen kommen.

Die in Berlin spielenden Chorszenen (Bettler und Huren, Roulette-Chor im Casino, Leute von der Straße, verhaftete Huren im Gefängnis) versieht der routinierte Opernchor unter der Leitung von Aki Schmitt mit Zeitkolorit der zwanziger Jahre. Die Musik verwendet die Tonsprache Kurt Weills, aber greift auch Elemente des Jazz und der Unterhaltungsmusik der Zeit auf. Alle in Berlin spielenden Szenen werden vom Conferencier mit Schlagworten, die an die plakative Sprache der Werbung erinnern, eingeleitet.

Auf dem Land ist der Conferencier als indigener „Wilder“, vermutlich Amazonas-Indianer, angemalt und kommentiert kritisch das wilde Treiben der scheinbar zivilisierten Gesellschaft.

Theater Koblenz/ Wolf unter Wölfen/ Foto @ Matthias Baus für das Theater Koblenz

Dirigent Karsten Huschke, offensichtlich mit dieser Musik vertraut, schafft mit dem klein besetzten Staatsorchester der Rheinischen Philharmonie eine beklemmende Atmosphäre. Es bleibt das Herz stehen, als die Leute von der Straße zur Melodie von „Heute gehört uns Deutschland“ singen: „Zeit, dass wieder Krieg kommt“.

Ein wenig überzogen und in dem Zusammenhang nicht relevant sind die vom Conferencier gebastelten Judensterne, von denen auch Petra einen ansteckt. Diese schlimmen Symbole der Ausgrenzung kommen 1923 noch nicht vor.

Noch schärfer zugespitzt wird die politisch-soziale Brisanz in dem Handlungsstrang, der die drei ehemaligen Kriegskameraden Wolf Pagel, Rittmeister Joachim von Prackwitz (herrlich arrogant Christoph Plessers) und Oberleutnant Studmann (toller intellektueller Charaktertenor Mark Bowman-Hester) auf das Gut Neulohe des Rittmeisters führt. Studmann deckt auf, dass der Konkurs des Rittmeisters vorprogrammiert ist, weil er seine Pacht an seinen Schwiegervater in Dollar in bar bezahlen muss.

Ein herrliches Luder gibt Theresa Dittmar als Eva von Prackwitz mit geläufigen Spitzentönen.

Völlig verarmt und auf der ganzen Linie gescheitert landen die drei wieder in Berlin im Casino, wo Wolf sein letztes Geld verzocken will und am Ende eine Glückssträhne hat, der Gewinn jedoch im Rahmen einer Razzia beschlagnahmt wird.

Es ist beklemmend, wie aktuell der Roman und erst recht die Verdichtung auf knapp zwei Stunden in dieser Oper ist. Der adelsstolze dünkelhafte Rittmeister und der Intellektuelle Studmann stehen stellvertretend für die militaristischen und rechts-konservativen Kreise einer mit den Anforderungen der Zeit überforderten Generation, die sich lieber einen neuen Krieg wünscht, als sich den Herausforderungen der neuen Zeit zu stellen.

Die Bettler, Obdachlosen und Prostituierten, verdichtet in den Figuren Petra und Wolf, verdeutlichen eine Dimension des sozialen Abstiegs, die es heute in Deutschland eigentlich nicht mehr geben dürfte, weil wir einen Sozialstaat haben. Trotzdem bleiben Abstiegsängste.

„Kein Mensch kennt mehr seinen Wert, keiner weiß mehr, wo er hingehört“. Dieser zentrale Satz aus dem Libretto kann auch auf unsere Zeit des rasanten sozialen Wandels mit ihrer Vereinzelung und Ausgrenzung hinterfragt werden.

Die Bühne ist ein Einheitsraum für 16 Bilder mit Prolog und Vorspiel. Das Berlin der Weimarer Republik 1923 bietet für die Gestaltung des Bühnenbilds und der Kostüme dankbare Vorlagen.

Theater Koblenz/ Wolf unter Wölfen/ Foto @ Matthias Baus für das Theater Koblenz

Das Bühnenbild von Ulrich Fromhold, das auf einer Drehbühne mit zwei variablen Wänden mit Fenstern operiert, ist einer Fensternische im bei Berlin gelegenen Sanatorium Hohenlynchen, in dem der an Tuberkulose erkrankte Hans Fallada nach der Publikation seines Romans eine Kur machte, nachempfunden. Auf diese Weise wird auch auf die Entstehungszeit des Romans Bezug genommen.

Da sich Fallada in seinem etwa 1000 Seiten umfassenden Roman bewusst nur als „Schilderer“ und Beobachter aus der politischen Distanz heraus zeigt, der sich jeglicher Schuldzuweisung enthält, fand der 1937 bei Rowohlt verlegte Roman auch vor der Reichsschrifttumskammer Gnade, obwohl er vom jüdischen Lektor Franz Hessel lektoriert wurde.

John von Düffels Theaterfassung von Hans Falladas Roman von 2009 wurde für das Libretto noch einmal gekürzt. Die Auftragskomposition des deutsch-dänischen Komponisten Søren Nils Eichberg knüpft an die Erfolge der Science-Fiction-Oper „Glare“, die das Theater Koblenz 2017 auf die Bühne gebracht hat. Intendant Markus Dietze hat hier große Weitsicht bewiesen.

Auch Eichbergs Oper „Schönerland“ im Staatstheater Wiesbaden über die Problematik von Flucht und Migration, die 2017 von der Wirklichkeit überholt wurde, zeigt, dass die Oper als Kunstform in der Lage ist, die Wirklichkeit zu reflektieren.

Die Opernversion von „Wolf unter Wölfen“ kommt mit 12 Solisten aus, darunter der herrlich androgyne „Conferencier zwischen den Zeiten“ Marcel Hoffmann, der im Bedarfsfall auch in Nebenrollen schlüpft. Monika Mascus als Vermieterin und Mutter, Anne Catherine Wagner, Eva Krumme, Michèle Silvestrini als Edel-Callgirls, Sebastian Haake als Wachtmeister und Dirk Eicher und Thomas Rathgeber als männliche Zofen singen und agieren auf hohem Niveau.

Søren Nils Eichberg / Foto ©Henning Harms

Der 1973 geborene deutsch-dänische Komponist Søren Nils Eichberg schafft es mit musikalischen Mitteln, die Auswirkungen der Hyper-Inflation des Jahres 1923 greifbar zu machen und die Vereinzelung, Ausgrenzung und Verlorenheit der Menschen im Berlin der Huren und Bettler darzustellen.

Kein Revue-Glamour, es ist die Umsetzung des Naturalismus eines Gerhart Hauptmann auf die Opernbühne, wo die Musik eingesetzt wird, um die Zeit und den Ort zu charakterisieren. Den einzelnen Szenen sind genaue Daten zugeordnet, es spielt unter normalen Menschen, der Komponist verzichtet auf die Handlung retardierende Arien, und Konflikte, Liebe, Rache und Trauer werden lapidar in Rezitativen abgehandelt. Mitunter wird auch die Sprechstimme eingesetzt.

Regisseurin Waltraud Lehner findet packende Bilder und eine überzeugende Personenführung um die Beziehungen zwischen den Personen abzubilden und die Übergänge ohne Brüche zu gestalten.

Stellvertretend sei die Szene genannt, in der Studmann seinem ehemaligen Rittmeister die Stiefel putzt oder auch die Szene, in der die sehr freizügig bekleidete Eva mit dem Conferencier einen lasziven Tango tanzt.

Die soziale Stellung der Personen wird von den zeittypischen Kostümen von Dorothee Brodrück und Eva Martin treffend illustriert. Besonders stark ist das Kostüm des Zuhälters und Schiebers Zecke, dessen Skrupellosigkeit Junho Lee auch in seiner Körpersprache zum Ausdruck bringt.

Das Theater Koblenz ist ein relativ kleines ganz entzückendes 1787 erbautes Haus im Empire-Stil, sehr geschmackvoll dekoriert und gut zu erreichen mit vielen Parkplätzen in der Schlossgarage. Die Akustik ist wundervoll, das Ambiente sehr angenehm.

Eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung gab die Musiktheaterpädagogin Anja Bolza-Schünemann eine Einführung in das Stück und spielte die wichtigsten Motive mit ihrem Cello. Wir fühlten uns bestens informiert.

Das Programmheft enthält nicht nur das Textbuch und eine Inhaltsangabe, sondern auch eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Stück und seinen Vorlagen und zahlreiche Szenenfotos. Es ist für 3,00 € äußerst preiswert.

Nach der Premiere fand im benachbarten Deinhard-Keller ein Empfang statt, bei dem wir dem jungenhaften Komponisten zu seinem großen Erfolg gratulieren konnten.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Theater Koblenz / Stückeseite
  • Titelfoto: Theater Koblenz/ Wolf unter Wölfen/ Foto @ Matthias Baus für das Theater Koblenz

 

 

 

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert