Klangliche Opulenz: Philippe Jordan und die Berliner Philharmoniker / Konzert am 22.1.2022

Berliner Philharmoniker, P. Jordan/Konzert am 22.1.2022/Foto © Stephan Rabold

Der Schweizer Dirigent Philippe Jordan gilt als einer der tüchtigsten seiner Generation. Gegen Ende des letzten Jahres stand er täglich – von Mitte Dezember bis zum Zweiten Weihnachtsfeiertag – im Graben der Wiener Staatsoper. Er dirigierte abwechselnd Don Carlo, Parsifal und Don Giovanni, lediglich an Heiligabend sowie am Tag davor nahm er sich frei. Im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen jettet Jordan gar nicht so viel um die Welt, sondern arbeitet konzentriert an einem Ort mit den ihm anvertrauten Orchestern. Seit anderthalb Jahren steht er an der Spitze der Wiener Staatsoper. Obgleich Jordans musikalische Heimat als Assistent von Daniel Barenboim in Berlin liegt, dirigiert er dort nur noch selten. Nun kehrte er mit einem populären Programm voller Wagner, Strauss und Berg zurück in die Berliner Philharmonie. In klanglicher Opulenz führt Philippe Jordan die Berliner Philharmoniker aus den Tiefen des Rheins zu den Panoramen der Alpen. (Rezension des Konzertes vom 22. Januar 2022)

 

Eigentlich wollte sich Philippe Jordan mit der lang erwarteten Neuinszenierung von Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ in der Regie des katalanischen Skandalregisseurs Calixto Bieito von der Opéra national de Paris verabschieden. Ob er über den Frust der pandemiebedingten Absage des Projekts seine eigene symphonische Fassung des „Rheingolds“ geschaffen hat? Vor ihm hatte immerhin schon Lorin Maazel den „Ring ohne Worte“ arrangiert, doch eine orchestrale Bearbeitung nur des Vorabends ist in der Tat ein Novum. Jordan leitete in seiner knapp halbstündigen Zusammenstellung mit dem bekannten Es-Dur-Akkord an den Tiefen des Rheins ein und endete im eruptiven Orchestertutti auf der bergigen Höhe mit dem Einzug der Götter nach Walhall. Er zeigte dabei jene klangliche Opulenz und Dramatik, die er in seinen Bayreuther „Meistersingern“ all die Jahre vermissen ließ. Den Ruf Donners legt Jordan gekonnt in das Solo-Horn, die Klagen der Rheintöchter erklingen aus einem Oboen-Trio. Und so herrlich wie die Berliner Philharmoniker spielen, wünschte man sich doch sogleich eine vollständige Wagner-Oper von ihnen.

Berliner Philharmoniker, Anja Kampe/Konzert am 22.1.2022/Foto © Stephan Rabold

Daran anschließend betrat Anja Kampe als eine der distinguiertesten Wagner-Sopranistinnen der Gegenwart die Bühne für Alban Bergs „Fünf Orchesterlieder, op. 4“. Erst kürzlich zeigte sie an der Bayerische Staatsoper mit ihrem Debüt als Marie in Alban Bergs „Wozzeck“, wie sehr sie den Sprechgesang der Neuen Wiener Schule zu meistern weiß. Auch in diesen, insgesamt knapp zehn Minuten dauernden Liedern, gab sie sich mit ihrer leicht metallischen Stimme und deutlicher Aussprache bei versiertem Wort-Ton-Verständnis als ideale Interpretin der Musik Alban Bergs. Leider ohne Zugabe – manch einer hoffte auf die „Starken Scheite“ der „Götterdämmerung“ – war ihre Darbietung auch schon wieder schnell beendet.

Nach der Pause führte Jordan das begeisterte Publikum von den göttlichen Höhen Walhalls weiter in die Bergspitzen des Werdenfelser Landes. „Eine Alpensinfonie op. 64“ gilt als mitunter beliebteste Tondichtung von Richard Strauss. Mit dieser debütierte Jordan vor knapp einem Jahr mit den Wiener Philharmonikern bei seinem ersten Abonnementkonzert im Wiener Musikverein.

Berliner Philharmoniker/Konzert am 22.1.2022/Foto © Stephan Rabold

Sicherlich ist das 1915 uraufgeführte Werk über eine Bergwanderung eine recht plakative Komposition. Als Spätwerk des Komponisten kann sie so manche Schwächen nicht verbergen. Denn auch in Retrospektive wirkt insbesondere im Vergleich zu Alban Bergs zuvor erklungener wegweisender und expressiver Tonsprache Strauss‘ sogar wenige Jahre danach entstandene „Alpensinfonie“ doch etwas aus ihrer Zeit gefallen.  Offensichtlich hat Jordan das Werk mit den Berliner Philharmonikern akribisch einstudiert. Der Dirigent überzeugte mit seinem sehr direkten und klaren Zugang zu Richard Strauss, ohne seinem Dirigat eine mystische Interpretation beizufügen. Vielmehr stellte er die unglaublich effektvolle und von Strauss raffiniert orchestrierte „Alpensinfonie“ als das dar, was sie im heutigen Konzertbetrieb auch zu sein scheint: Ein „Guilty pleasure“ der Klassikliebhaber! Und damit triumphierte er!

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Berliner Philharmoniker
  • Titelfoto: Berliner Philharmoniker/Konzert am 22.1.2022/Foto © Stephan Rabold
Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert