Heldentenor ohne Grenzen: Andreas Schager als „Siegfried“ unter Christian Thielemann in Dresden

Semperoper/SIEGFRIED/Andreas Schager (Siegfried), Komparserie/Foto© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Auch für die Wiederaufnahme des Ring des Nibelungen an der Semperoper Dresden unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann gilt: Selbst der orchestral spannendste Ring-Zyklus steht und fällt mit der Besetzung der Titelpartie des Siegfrieds. Denn jeder Sängergeneration entwachsen lediglich — wenn überhaupt — zwei oder drei Heldentenöre, welche dieser Partie stimmlich gewachsen sind. Was würden die Semperoper Dresden, die Bayreuther Wagner-Festspiele, die Staatsoper Berlin oder auch die Metropolitan Opera in New York bloß tun, hätte Andreas Schager vor zehn Jahren nicht (mehr oder weniger) zufällig als Einspringer im Siegfried seine Weltkarriere gezündet? Vermutlich könnte man ohne ihn heutzutage keinen Ring-Zyklus mehr adäquat besetzen. (Gesehene Vorstellung v. 8.Februar 2023 – Zweite zyklische Aufführung im Februar 2023)

 

 

Andreas Schager brachte für die Partie jene Stimmbänder aus Stahl und unübertreffliche Spielfreude mit, wie es sie nur selten zu erleben gibt. Die Spitzentöne saßen perfekt, der Text blieb verständlich und seine Bühnenpräsenz (bei gelegentlich doch etwas weit ausschweifenden Gesten) prägten das Geschehen. Sein Siegfried strotzte vor Kraft und Selbstbewusstsein — das Fürchten hat Schager in seiner Rolle nicht gelernt. Obgleich der Tenor gelegentlich im Miteinander des Ensembles etwas zu dominant herausstach, bleibt er ein Phänomen. Für Christian Thielemanns letzten Dresdner Ring scheute er keine Anstrengungen. Denn wo andere Tenöre ihre Stimme besonders schonen, übernahm Schager in diesen beiden zyklischen Aufführungen auch noch die Partie des Siegmund in der Walküre. Damit stand er an drei Abenden fast ununterbrochen auf der Bühne. Es grenzt an ein Wunder, dass der Sänger in der Götterdämmerung keine Ermüdungserscheinungen offenlegte. Im Gegenteil, beim Schlussapplaus vermittelte Schager gar den Eindruck, am liebsten nochmal die Schmiedelieder als Zugabe zu schmettern. So schnell wird ihm das kein Sänger wieder nachmachen!

Die Ihm gegenüber die Partie der Brünnhilde verkörpernde Ricarda Merbeth lieferte eine nicht minder sensationelle Leistung. Darüber wird im Folgebericht zur Götterdämmerung noch näher zu sprechen sein.

Semperoper/SIEGFRIED/John Lundgren (Der Wanderer), Christa Mayer (Erda)/Foto© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Thomas J. Mayer, der als Einspringer für den erkrankten John Lundgren seinen Wotan im Rheingold noch mit Partitur von der Bühnenseite sang, brachte sich im Siegfried auch szenisch ins Geschehen ein. Hier überzeugte der Bass-Bariton als Sängerdarsteller mit Leib und Seele auf ganzer Linie. Er legte all die Resignation und Bangnis eines gescheiterten Wotan-Wanderers in seine rau-herbe, zugleich eindringliche und tragende Stimme und brachte so das Publikum zum Mitfiebern. Innerlich bebend versuchte TJ Mayer als Wanderer die Erda nochmal zu bezwingen, dass sie ihm doch kundtun wolle „wie zu hemmen ein rollendes Rad“. Mit Christa Mayers pointiert-zurückweisender und stimmlich markanter Erda wurde eine zusätzliche Metaebene eingeführt. Denn die Mezzosopranistin sang an den beiden Abenden zuvor zunächst die Partie der Fricka, jene Rolle von Wotans Ehegattin, die seine Seitensprünge mit Erda doch zutiefst verachtet und welche ihm als diese verwandelt nun in doppelter Hinsicht Paroli bietet.

Jürgen Sacher zeigte dank intelligenter Phrasierungskunst welche Tiefe in seiner Partie des Mime steckt. Mime droht ja so häufig als Karikatur zu einer Witzfigur zu verkommen. Sacher jedoch verkörperte einen Zwerg aus Fleisch und Blut — gleichwohl durchtrieben, listig und gewieft, wusste er auch den Ängsten und Leidenschaften seiner Rolle Ausdruck zu verleihen. Dadurch wurde Mime ungeahnt plausibel und irgendwie auch ein wenig menschlich. Sacher überzeichnete seine Partie nicht, sondern fand einen ausgeglichenen Grad zwischen Schelmerei und Tragik, ein Mime mit Ehrgefühl und Würde!

Willy Deckers Inszenierung von Wagners Ring des Nibelungen wurde in den letzten 20 Jahren schon ausreichend kritisiert, interpretiert und beschrieben, so dass an dieser Stelle nur wenige Worte drüber verloren sein sollen. Es fällt zunächst positiv auf, dass obwohl die Personenregie der Ursprungsbesetzung etwas verlorengegangen scheint, die Bühne und Kostüme noch immer ihre Wirkung erzielen. Der Regisseur analysiert dabei den Ring-Mythos aus mehreren Ebenen und Blickwinkeln, stellenweise mag sich das Publikum selbst in einzelnen Figuren wiedererkennen. Sein Interpretationsansatz liegt im „Theater-auf-dem-Theater-Stil“, welcher je nach Szene mehr oder weniger vordergründig durch Publikumsbestuhlung und zusätzliche Vorhänge oder Bühnendekors symbolisiert wird. Die zahlreichen Figuren des Rings beobachten sich gegenseitig und greifen teilweise pantomimisch in die Handlung ein. Omnipräsent erscheint immer wieder Erda mit einer Weltkugel, welche während der originären Ring-Handlung eigentlich weitestgehend im Schlaf verbleibt. Gerade dort liegt die Genialität der Regie begründet, denn Erdas Schlaf steht gemäß eigener Aussage für das „Walten des Wissens“. Bei Willy Decker steuert Erda den Fortgang des Dramas aktiv durch ihr eigenes Träumen. Dabei gelingen Decker immer wieder starke Bilder, die gleichermaßen über alle vier Abende konstant ihre Wirkung entfalten. Es entstehen weder Leerlauf noch Irritationen oder gar Ablenkungen von Musik und Gesang. Die Inszenierung ist zeitlos, wirkt aber gerade deshalb umso zeitgemäßer. Der Regisseur zollt Respekt vor Wagners Werk, spart zugleich nicht an eigenen Interpretationsansätzen und bietet gewissermaßen das Regiekonzept einer Ring-Deutung für die Ewigkeit!

„Hinweis der Redaktion vom 20.02.2023: Aufgrund eines inhaltlichen Korrektur wurde der Absatz zur Besetzung des Mime durch Jürgen Sacher nachträglich überarbeitet“

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Semperoper Dresden / Stückeseite
  • Titelfoto: Semperoper/SIEGFRIED/Andreas Schager (Siegfried)/Foto© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

 

 

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2 Gedanken zu „Heldentenor ohne Grenzen: Andreas Schager als „Siegfried“ unter Christian Thielemann in Dresden&8220;

  1. Lieber Herr Richter, während Sie den von mir gesungenen Mimen im Dresdner Rheingold in Ihrer Rezension ganz unter den Tisch fallen ließen, bedachten Sie meinen im Siegfried gesungenen Mime fälschlicher Weise mit dem Dresdner Kollegen Jürgen Müller. Das Lesen des Einlageblattes mit den Mitwirkenden, hätte Ihnen da helfen können!
    Mit freundlichen Grüßen, Ks. JÜRGEN SACHER.

    1. Lieber Herr Sacher, bitte entschuldigen Sie diesen Fehler. Ich habe Herrn Richter gerade darüber informiert. Es muss sich hierbei um ein Missverständnis seinerseits handeln. Herzliche Grüße, Detlef Obens (Herausgeber DAS OPERNMAGAZIN)

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