Guy Montavon – Generalintendant am Theater Erfurt und Opernregisseur zwischen Bonn und Bilbao

Guy Montavon / Foto @ Mechthild Tillmann

Ein Gefühl wie beim speed-dating. Eine knappe Stunde ist Guy Montavon und mir vergönnt, um schnell seine aktuelle Arbeit am Theater Bonn, die Neuinszenierung von Cavalleria Rusticana und Pagliacci, zu beleuchten. Wie kostbar seine Zeit ist und wie glücklich ich mich schätzen kann, lässt sich am unablässigen Ping und den zahlreichen Jingles für eingehende Nachrichten und Mails ablesen. Ein Uhren-Mini-Computer am Handgelenk hält ihn ständig auf dem Laufenden. Zur Premiere von Don Pasquale im eigenen Haus am darauffolgenden Samstag reist er zwischen den Hauptproben hier in Bonn quer durch Deutschland. Das unstete Leben der Theaterleute! (Guy Montavon im Gespräch mit Mechthild Tillmann)

 

Zunächst einmal legte Guy Montavon, der aus der französischsprachigen Schweiz stammt, sein Diplom als Fagottist ab. „Auf dem Genfer See“ – wie er schmunzelnd erklärt. Will sagen: Er erinnert sich gern an die entspannten Zeiten als Student. Dann absolvierte er in Hamburg an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst sein Studium bei Götz Friedrich, dem legendären Erfolgsregisseur der ehemaligen DDR. Dort studierte er in derselben Klasse wie Bernhard Helmich (Generalintendant am Theater Bonn) und Jürgen R. Weber (in Bonn Regisseur von Marx in London) – bis heute sind sie einander kollegial und freundschaftlich verbunden, auch als Kinderpaten oder Hochzeitsmusiker. 

Sein Handwerkszeug eignete Guy Montavon sich als Assistent von Giancarlo del Monaco an; er lernte, Probenpläne zu erstellen und klassische Regieanweisungen zu schreiben. Unter anderem wurde ihm bei der Arbeit an der Seite des „enfant terrible“ der Opernwelt auch klar, was er als Regisseur strikt anders machen würde. Nämlich den Menschen hinter und auf der Bühne mit deutlich mehr Respekt begegnen. So wundert es nicht, dass er von einigen Beleuchtern, Choristen und Requisiteuren sehr freundschaftlich willkommen geheißen wurde, als er jetzt nach knapp 25 Jahren zum ersten Mal wieder in Bonn Regie führt. 

Guy Montavon / Foto @ Mechthild Tillmann

Nun also zwei der beliebtesten Stücke des Opernrepertoires, die traditionell zusammen aufgeführt werden. Das mag einerseits der Entstehungszeit und ähnlichen musikalischen Ansätzen, andererseits aber auch der Thematik geschuldet sein. Zweimal 1 ¼ Stunden durch eine Pause getrennt machen einen runden Opernabend aus. 

Ins Schwärmen gerät Montavon, sobald er von der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Will Humburg spricht. „Nur ein sehr erfahrener und äußerst einfühlsamer Orchesterleiter kann musikalisch herausarbeiten, was den Reiz und die über die Zeit hinausgehende Bedeutung der Opern ausmacht. Und bei so einem Verdi-Spezialisten, der selbst das Opernhaus in Catania auf Sizilien geleitet hat, liegt die Musik von Leoncavallo und Mascagni in besten Händen.“ 

Gleichermaßen begeistert ist er von den Solistinnen und Solisten im Bonner Ensemble. Allerdings fürchtet er, dass nicht alle uneingeschränkt eine Begeisterung für ihn teilen. „Ich mute den Sängerinnen und Sängern schon einiges zu. Sie müssen nahezu akrobatisch agieren und sich physisch ungewohnt stark präsentieren.“ Mehr verrät er an der Stelle noch nicht (tanzen, hüpfen, springen?) – von der Regie-Katze lässt er mal gerade die Öhrchen seiner Arbeit aus dem Sack. Wir werden sehen!

Was wir bisher bereits wissen: Montavon verbindet die beiden Opern durch den Prolog des Tonio, einen der Clowns der Pagliacci (Der Bajazzo). Er stellt ihn programmatisch beiden Opern voran, und lässt ihn einen fiktiven Diskurs zwischen den beiden Komponisten initiieren. Die wiederum erscheinen als Masken, die historischen Fotografien nachempfunden sind. Bühnenbildner Hank Irwin Kittel hat sie gebaut – in der Wirklichkeit gibt es sie nicht. 

Der Bajazzo ist eine Liebeserkärung an das Theater – und so will ich meine Inszenierung auch verstanden wissen.“, sagt Montavon. Seit Shakespeare wissen wir, dass „all the world’s a stage.“ So potenziert Leoncavallo diesen Leitsatz, indem er im Theater eine „wirkliche Geschichte von Liebe, Eifersucht und Mord“ (natürlich auch eine Fiktion) im Geschehen auf einer commedia dell’arte Bühne im Stück spiegelt, zum schrecklichen, mörderischen Höhepunkt führt und auflöst. Montavon dazu: „Der Bajazzo, der betrogene Liebende, der rasend von Eifersucht seine untreue Frau und den Nebenbuhler ersticht, repräsentiert nicht die Geschichte eines Menschen, sondern die Geschichte des Menschen. In ihm stecken alle Gefühle, Hass, Liebe, Wut, Eifersucht, auch die Entschlossenheit und die Trauer, zu denen Menschen fähig sind.“ 

In den Mund des tölpeligen Clowns, dessen primäre Aufgabe darin liegt, die Menschen zu unterhalten und zum Lachen zu bringen, legt Leoncavallo ein musikalisches Konzept, ein operntheatralisches Credo. „Heut schöpft der Dichter kühn aus dem wirklichen Leben schaurige Wahrheit.“, heißt es. Das Veristische liege nicht in den Personen des Stücks (Dorfbewohner, Gaukler, Bauern, Landleute, Gassenbuben), sondern in der musikalischen Komposition eines momentanen Gefühls. Fände man in der opera seria noch eine Liebeserklärung, die eine gute halbe Stunde dauert, so heißt es im Verismo „Ich liebe dich“ und dann treibt die Handlung voran. 

Montavon sieht in Canio, dem Pagliaccio, d e n Menschen, der sich in sein weites Clownsgewand kleidet und das Gesicht weißt; die Maske verbirgt die wahren Gefühle und verlangt vom Komödianten, trotz des Höllenschmerzes im Herzen die Leute zum Lachen zu bringen. „Vesti la giubba e la faccia infarina …“ – The show must go on … Lache, Bajazzo, über die zerbrochene Liebe. Lache über den Schmerz, der das Herz dir vergiftet.

Ob er eine besondere Affinität zum Archaischen, zum Ehrenkodex zeitlich und räumlich weit entfernter Gesellschaften habe, frage ich Guy Montavon. Zunächst einmal habe er großen Respekt vor den Ritualen und Riten, den Traditionen und Glaubenssätzen unterschiedlicher Gruppen. Ja, und er werde Turridus Biss in Alfios Ohr genau wie im Origingal-Libretto zeigen, als Herausforderung für ein Duell. (Der Weinhändler Turridu und Alfios Frau Lola haben ein Verhältnis, das Santuzza, die eigentliche Freundin Turridus, verraten hat.)  Ihn interessierten insbesondere die einzelnen Figuren: Welche Tiefe und welchen Facettenreichtum erreichen sie über ihre Rolle? Aber vor allem auch: Wie und durch welche Musik erlangen sie das? 

Montavon hat Mamma Lucia, die auch im Libretto an erster Stelle genannt wird, deutlich stärker akzentuiert. Er übergibt ihr Teile von Santuzzas Position. Was für eine spezielle Figur! Als Santuzza ihr die Wahrheit über ihren Sohn entdeckt, will und kann sie das nicht glauben – bis zu dem Moment, als sie aus der Kirche kommt und erfährt, ihr Sohn ist tot. Wir dürfen gespannt sein, wie Mamma Lucia „immer da ist.“ 

Guy Montavon / Foto @ Mechthild Tillmann

Santuzza selbst sieht Montavon als relativ flachen Charakter. Anders als Nedda in Pagliacci hat sie keine Vorgeschichte und vermutlich auch kein Nachleben. Wie andere vor ihm zeigt er sie schwanger – das Libretto bezeichnet sie als „scommunicata“ = exkommuniziert. Sie darf nicht in die Kirche, weil sie den Ehrenkodex gebrochen und Sex ohne Trauschein hat. Während der Spielzeit (fast gleich der gespielten Zeit) gehört sie nicht zum Dorfleben – und ein bürgerliches Leben in dieser Gemeinschaft ist ihr auf immer verwehrt. Niemandes Ehre ist durch Turridus Tod wiederhergestellt, sondern das Dorf ist um seinen feierfreudigen Weinhändler ärmer und drei Frauen bleiben mit gebrochenem Herzen zurück. 

„Du inszenierst das Stück aus typisch männlicher Sicht“, hatte Will Humburg noch am Morgen während der Proben festgestellt. Das lässt Montavon so nicht stehen. Er gibt der runden, tiefgründigeren Figur Nedda entschieden mehr Raum und lässt sie sich entfalten. Offensichtlich hat die Komödiantentruppe sie aus der Gosse aufgehoben und sie ist nun für Kochen, Waschen und das warme Bett des Chefs der Compagnie zuständig. Sie hat eine Vorgeschichte, ein hohes Maß an Selbstreflexion (Arie über die Mutter und die Freiheit der Vögel am Himmel) und Handlungsoptionen. Sie könnte mit Silvio abhauen … Ihr Spektrum an Gefühlen, die sie zum Ausdruck bringt, ist beachtlich: der Wunsch nach Freiheit, ihre Sehnsucht nach echter Liebe, ihre Grausamkeit Beppo gegenüber, die Zärtlichkeit für die Kinder, ihre Leidenschaft für Silvio, ihre Loyalität dem Liebhaber gegenüber, ihr Stolz und ihre Wehrhaftigkeit und Hingabe. 

Montavon sagte bereits an anderer Stelle, dass der Bühnenraum ein Mausoleum darstellen wird mit kassettenartigen Einlassungen in der Wand für die „Toten, die tot sind, und die Toten, die leben.“ Etwas kryptisch, aber mehr war ihm nicht zu entlocken. Keine Folklore in den Kostümen, aber eine Siciliana, ein auch im Italienischen auf Sizilianisch gesungenes Liebeslied, mit der Turridu seiner Sehnsucht nach Lola gleich zu Beginn der Oper Ausdruck verleiht. 

Und der Verismo? Sieht Montavon eine Parallele zur Literatur derselben Zeit, zu Zola, Ibsen, Hauptmann, denen die Literaturwissenschaft die Formel Kunst = Natur – x zuschreibt? Also die fast uneingeschränkte Darstellung auch der gesellschaftlichen Schichten, die weder privilegiert, noch nach den geltenden Maßstäben bühnenfähig sind? Bizets Carmen musste ja noch den ohnehin geächteten Zigeunern angehören, aber in Cavalleria Rusticana und Pagliacci stellen die Landbevölkerung und eine Komödiantentruppe das Personal. Montavon winkt ab. Er liest den Verismo als eleganteste und musikalisch exquisite Verschmelzung von Bühnendarstellung und richtigem Leben, die im Graben in Einklang mit Gesang und Spiel auf der Bühne ihren Ausdruck findet. 

Viel Stoff in kurzer Zeit! An der Tramstation die letzte Frage: Was macht die Arbeit in Bonn so besonders und so erfreulich? Er rekurriert auf den musikalischen Ausdruck von Partitur und Libretto und fügt hinzu: „Mit Will Humburg würde ich gern einen Verdi auf die Bühne bringen. Seine Expertise ist einfach fantastisch.“ Zunächst aber führt ihn seine Reise nach der Premiere in Bonn nach Bilbao, wo Wagners Fliegender Holländer auf dem Programm steht. 

 

 

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