Gewaltiges Fest der Sinne – „Carmina Burana“ in der Kölner Philharmonie bejubelt

Carmina Burana/La Fura dels Baus/Foto © A Bofill

Erstmals großes Aufsehen erregte die katalanische Theatertruppe „La Fura dels Baus“ 1992 bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Barcelona. Berühmt ist ihre Einspielung des „Ring des Nibelungen“ unter dem Dirigenten Zubin Mehta 2007 bis 2009 in Valencia. In der Kölner Oper hat ihr Regisseur Carlus Padrissa mit Wagners „Parsifal“ (2012), „Benvenuto Cellini“ (2015) von Hector Berlioz und vor allem mit Zimmermanns „Die Soldaten“ (2017) große Erfolge gefeiert. Mit „Carmina Burana“ tritt die Truppe seit 2016 weltweit auf. Es ist ihre meistgespielte Produktion, die die zum Teil recht derben Gedichte in eine bildstarke Show mit Video-Elementen und sensationellen Effekten umsetzt. (Besuchte Vorstellung v. 19. Juli 2023)

 

Carl Orffs Komposition aus dem Jahr 1937 vertont eine mittelalterliche Gedichtesammlung, die im Kloster Benediktbeuren gefunden wurde. Thema ist der schon damals etwas verkommene Klerus „Ego sum abbas Cucaniensis…“ („Ich bin der Abt des Schlaraffenlands…“), ein Saufgelage, bei dem ein gebratener Schwan sein Leben aushaucht, und vor allem die triebhafte Sexualität der Dorfjugend mit rhythmischen Tänzen im Gegensatz zur Minne des Hohen Paares.

Der Chor „O Fortuna“, Anrufung der launischen Glücksgöttin, eröffnet und beschießt Orffs raffinierte Komposition in einer neuen Einfachheit, die von Volksmusik und aktueller Tanzmusik der Zeit beeinflusst ist, aber auf deutliche Distanz zu Neutönern wie Schönberg oder Strawinsky geht. Das erklärt auch, warum das Stück nach der Premiere am 8. Juni 1937 in Frankfurt einen Siegeszug durch die Konzertsäle antrat und auch nach dem Krieg weitergespielt wurde. Konservative bemäkelten zwar die sexuelle Freizügigkeit, konnten aber an „Oh Fortuna“, der Anrufung der Glücksgöttin Fortuna, keinen Anstoß nehmen, einem der erfolgreichsten Chöre aller Zeiten. Dass es hier um Frühlingserwachen, Sex und Ausschweifungen geht, wird bildstark in eindeutigen realen Szenen und in Video-Sequenzen dargestellt. Ein riesiger Gazezylinder umhüllt die zwei Pianisten, eine Flötistin, Kontrabass und sechs Schlagzeuger.

Wer das Stück nicht kennt, ist beeindruckt von der archaischen Gewalt der Anrufung der launischen Glücksgöttin mit großem Chor, ist angetan von lateinischer Choralmusik, die mittelalterliche Kirchenmusik nachmacht, und vor allem von den rhythmischen Tänzen auf dem Dorfanger und dem Balzverhalten junger Leute.

Carmina Burana/La Fura dels Baus/Foto © A Bofill

Die in der Kölner Philharmonie von La Fura dels Baus gezeigte Version von „Carmina Burana“ überzeugt durch ihre szenische Realisation. Sie wird eingeleitet durch ein Flötensolo und einen Chor, der sich in den Gängen der Philharmonie – die Frauen rechts, die Männer links – mit Lichtern verteilt. Das Erwachen des Frühlings wird durch Lavendelduft verdeutlicht. Der Chor aus einem anderen Werk  erinnert mit Lichtern an Klemmbrettern ein wenig an Madama Butterfly, und es wird an die Leinwand projiziert, dass die Lieder und Chöre von abtrünnigen Mönchen verfasst und gesungen wurden, die ihr Heil in der Gegenwart und bei Frauen suchten. Der Übergang zu „Oh Fortuna“ passte von der Tonart her nicht so recht, aber dann kam das angekündigte Stück mit unfassbar spektakulären Videosequenzen und szenischen Effekten wie der nackten Jungfrau, die in einem oktagonförmigen riesigen Wasserbehälter vorgeführt wurde, dem gebratenen Schwan, einem Countertenor, der auf einem Kran über dem Publikum schwebte, und dem geilen Abt, der das Publikum zum Mitsingen animierte und Damen in der ersten Reihe anmachte.

Die derbe, lustbetonte Seite der Liebe wurde betont, die Sopranpartie wurde ganz handfest von einer scheinbar barbusigen Dame in Corsage mit nackten Beinen gesungen, die von dem Kran hoch über die Bühne gehoben wurde. Durch die Bebilderung – Blütenmeere, ein schlagendes Herz – verstand jeder, dass hier Liebe, Wein und Lust am Leben gepriesen wurde; eine klare Absage an theologische Spitzfindigkeiten und lustfeindliche Regeln. Man merkte deutlich, dass die Truppe vom Straßentheater kommt, denn der verkommene Abt des Schlaraffenlands forderte das Publikum zum Mitsingen auf, was auch gelang.

Carmina Burana/La Fura dels Baus/Foto © A Bofill

La Fura dels Baus mit einem Ensemble von 24 Sängern und sechs Tänzern bzw. Tänzerinnen liefert eine bildstarke und derbe Version der „Carmina Burana“, die vom Publikum intuitiv verstanden wurde, was man schon am Szenenapplaus ablesen konnte. Eine Übersetzung der lateinischen und mittelhochdeutschen Texte wird nicht benötigt. Sehr populär, sehr suggestiv, sehr musikalisch, allerdings etwas plakativ und holzschnittartig. Die Instrumentierung beschränkte sich auf die Version mit zwei Flügeln und Schlagwerk, dazu eine Flöte und ein Kontrabass. Die Musik wurde elektronisch verstärkt, und nicht alle anscheinend singenden Protagonisten sangen selbst, zum Beispiel der Bariton, der im roten Wasser sang, wurde aus dem Off gedoubelt.

Eigentlich sollten die „Carmina Burana“ in der szenischen Umsetzung von La Fura dels Baus  bereits im Sommer 2020, dann 2022 in der Kölner Philharmonie aufgeführt werden, aber die Pandemie machte einen Strich durch die Rechnung.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Kölner Philharmonie
  • Titelfoto: Carmina Burana/La Fura dels Baus/Foto © A Bofill

 

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