Genuss ohne Reue! Verdis „Falstaff“ in der Komischen Oper Berlin

Komische Oper Berlin/FALSTAFF/Foto @ Andrea Roeber

Barrie Kosky wäre nicht Barrie Kosky, wenn er nicht auch bei der Oper „Falstaff“ das Stück daraufhin inszeniert hätte, was es uns heute sagt. Folgerichtig ist Falstaff kein schmerbäuchiger versoffener Ritter, sondern ein Starkoch, ein moderner Lebenskünstler in den besten Jahren, der seine Erfüllung bei gutem Essen und edlem Wein findet. Wie in einer TV-Kochshow präsentiert er bei seinem ersten Auftritt im Gasthof „Zum Hosenband“ seine Küchentricks, bekleidet nur mit einer Kochschürze, einer jugendlichen Perücke und einem Tanga. Sein nackter Hintern ist einfach der Knaller! Es ist eine deftige Buffa, die uns den Spiegel vorhält. (Besuchte Vorstellung v. 9. Juli 2022)

 

 

 

Gesteigert wird der Genuss durch das graphische Bühnenbild und die witzigen Kostüme von Katrin Lea Tag. Das grün-pinkfarbene Tapeten- und Fußbodenmuster wiederholt sich in Falstaffs Ausgehanzug, mit dem er zum Rendezvous mit Frau Ford aufbricht, dazu eine Perücke mit einer Frisur wie Simon Rattle. Das Schlafzimmer Alice Fords ist so vollgestellt mit Sahnetorten aller Art, dass man ahnt, wie das Rendezvous ausgehen soll. Aber der erzürnte Gatte naht, der erwartungsfrohe Liebhaber landet mitsamt der schmutzigen Wäsche in der Themse.

Scott Hendricks ist dieser moderne sympathische Falstaff: ein lebenslustiger Gourmet, ein Philosoph, ein Lebenskünstler, ein Schlitzohr, der seinen Charme einsetzt, um zwei reiche Damen der Gesellschaft, Meg Page und Alice Ford, gleichzeitig zu bezirzen um wieder an Geld für gutes Essen und edlen Wein zu kommen. Die Verführung ist bei ihm Mittel zum Zweck, denn viel mehr als Sex bedeuten ihm Schlemmerei und Weingenuss. Man kann ihm einfach nicht böse ein! Sein Monolog: „Mondo ladro“ ist das Credo eines jeden Weinliebhabers – ein Kabinettstückchen der Dicht- und Kompositions- und Darstellungskunst. Scott Hendricks ist ein Bariton der Spitzenklasse mit unfassbar vielen Stimmfarben und einer enormen Bewegungsfreude und Bühnenpräsenz, dem man den erfolgreichen Fernsehkoch unbesehen abnimmt.

Folgerichtig werden in den Umbaupausen des ersten und zweiten Akts im Tonfall eines Liebesspiels Kochrezepte für ein dreigängiges Menü verlesen, bei denen einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Sollte Kosky vielleicht darauf anspielen, dass Essen der Sex des Alters ist?

Falstaffs Gegenspieler, Herr Ford, Publikumsliebling Günter Papendell, ist dagegen ein verklemmter pedantischer Erbsenzähler, der Falstaff überführen möchte. Um ganz sicher zu gehen, dass er Falstaff mit seiner Frau in flagranti erwischen kann, gibt er ihm, getarnt mit einer schwarzen Perücke, Geld, mit dem Argument, er selbst sei dieser tugendhaften Frau verfallen, aber wenn sie sich erst mal Falstaff hingegeben habe, werde auch er eine Chance haben. Shakespeare hat dem Ritter John Falstaff in seinem „Falstaff“ ein Denkmal gesetzt. In dieser derben Komödie muss der alte Schwerenöter ganz schön was einstecken, denn er wird mit der schmutzigen Wäsche in die Themse geworfen, damit ihn der eifersüchtige Gatte nicht erwischt, und im 3. Akt piesacken ihn alle, als Wesen der Nacht verkleidet, um ihn für seine Regelbrüche zu bestrafen. Es ist ein veritabler Mummenschanz, bei dem die turbulente Unordnung System hat.

Komische Oper Berlin/FALSTAFF/Foto @ Andrea Roeber

Verdi und sein Librettist Arrigo Boito haben die Qualität dieses Sujets erkannt und dem Lebenskünstler Falstaff mit der spritzigen Commedia lirica „Falstaff“ ein weiteres Denkmal gesetzt. Boito hat ein brillantes Libretto mit unübertroffenem Sprachwitz – selten hat man so viele originelle italienische Schimpfwörter gehört – und vielschichtigen Ensembles geschaffen, die Verdi temporeich und polyrhythmisch vertont hat. Verdi hat mit dieser Komödie die komische Oper neu erfunden und mit diesem Meisterwerk, bei dem er in einzelnen Takten sich selbst zitiert, sein Lebenswerk gekrönt.

Koskys zehnjährige Intendanz an der Komischen Oper endet mit der mehr als kongenialen Inszenierung in Koproduktion mit dem Festival d´Aix-en-Provence und der Opéra National de Lyon. Kosky hat mit „Falstaff“ seine Intendanz mit einem Geniestreich abgeschlossen, denn er hat die Komödie in unsere Zeit geholt und Regietheater im besten Sinne geschaffen. Als Starkoch in den besten Jahren kann Falstaff herrlich über gutes Essen und edlen Wein schwadronieren, und man könnte sich sogar vorstellen, dass die in der Ehe mit dem drögen Ford gefangene Alice sich auf eine Affäre mit dem temperamentvollen Falstaff eingelassen hätte, wenn der nicht den Bogen überspannt und einen gleichlautenden Liebesbrief an ihre Freundin Meg Page geschickt hätte.

Natürlich spielt auch die Liebe eine große Rolle. Nannetta, Fords Tochter, ist verliebt in den jungen Fenton, der ihr nicht von der Seite weicht und ständig Zärtlichkeiten mit ihr austauscht. Penny Sofroniadou und Oleksiy Palchykov sind dieses temperamentvolle Liebespaar mit lyrischem Schmelz und handfester Erotik. Leider will Ford Nannetta mit dem langweiligen Dr. Cajus (Ivan Turśic) verheiraten, der zusammen mit Falstaffs Kumpanen Bardolfo (James Kryshak) und Pistola (Jens Larssen) das Buffo-Element verkörpert. Große Komödiantin ist Agnes Zwierko als Mrs. Quickly, die als Kupplerin die Einladungen von Mrs. Ford an Falstaff überbringt. Die Damen Meg Page (Carolina Gumos) und Alice Ford (Ruzan Mantashian) harmonieren ganz vorzüglich. Es ist überhaupt eine phantastische Ensembleleistung auf höchstem Niveau, in die sich Penny Sofroniadou als Nannetta mit ihrem Hausdebut am 12. Mai 2022 an der Komischen Oper kongenial und quirlig eingefügt hat.

Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter Ainars Rubikis schafft eine unfassbar leichte Atmosphäre. Mit seinem letzten Werk hat Verdi die Gattung der Opera buffa wieder belebt und einen Vorläufer von „Gianni Schicci“ und dem „Rosenkavalier“ geschaffen.

Am Ende verheiratet der Notar den Dr. Cajus mit Bardolfo, und Fenton mit Nannetta – ein happy End, über das alle lachen können, auch der düpierte Kontrollfreak Ford.

Komische Oper Berlin/FALSTAFF/Foto @ Andrea Roeber

Der dritte Akt findet in einem schmucklosen Raum statt, ein weiteres stilistisches Merkmal. Kosky kommt mit minimaler Dekoration aus, der Rest ist durchdachte Personenführung, typgerechte Kostüme und Perücken und ein eingespieltes Ensemble. Der perfekt choreographierte Chor unter der Leitung von David Cavelius und die Solisten, alle in Schwarz, piesacken den armen Falstaff. Auf dem Höhepunkt der hämischen Freude, womit im dritten Akt der gepeinigte Falstaff von allen aufgeschaukelten Anwesenden im nächtlichen Park überschüttet wird, schlagen die drei Damen in ihrem Gesang plötzlich einen innigen Ton an – man kann ihm nicht wirklich böse sein!   Inmitten des lustvoll grausamen Spiels bekennt Falstaff durchaus Reue, meint es aber nicht wirklich ernst. Verdis reifes Alterswerk strotzt vor Wortwitz und musikalischen Einfällen, und man nimmt echten Anteil.

Tutto nel mondo è burla“ eröffnet Falstaff am Schluss die Fuge. „Alles auf Erden ist Spaß“ in diesem Sinne endet Verdis letztes Werk und Koskys letzte Produktion als Intendant der komischen Oper.

 

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