ES IST EIN MÄRCHEN: „HÄNSEL UND GRETEL“ INSZENIERT VON ACHIM FREYER AN DER LINDENOPER

Staatsoper Unter den Linden/Hänsel und Gretel/ Elsa Dreisig, Katrin Wundsam/ Foto @ Monika Rittershaus

Bei der Premiere dieser Inszenierung von Achim Freyer in der letzten Spielzeit (08.12.2017) wurde von einem Teil des Publikums heftig gebuht – ganz offensichtlich gab es hier festgefahrene Sehgewohnheiten und Erwartungen in viele Richtungen. „Hänsel und Gretel“ ist ein Märchen, nichts anderes, und so wurde es inszeniert. Ins Märchenhafte verfremdet und letztendlich ins Märchenhafte hinüber gerettet. Was gab es da für unmögliche Vorwürfe an den Regisseur: ein Kritiker meinte nach der Premiere, Freyer hätte ein so stark aktuelles Thema wie „Kindesmissbrauch“ mit einbauen müssen. Gut, dass er es nicht getan hatte. (Rezension der besuchten Vorstellung am 18.12.2018 in der Staatsoper Unter den Linden)

 

Hänsel (Katrin Wundsam) und Gretel (Evelin Novak) tragen in dieser Inszenierung Masken, große zeitlose Kindermasken, die weder an Comics noch an den Kitsch vergangener Jahrhunderte erinnern. Es sind Masken aus Freyers Theaterwelt. Nicht einzuordnen, zeitlos eben. Endlich ist das Problem gelöst, dass bei Humperdincks Märchenoper erwachsene Sängerinnen auf Kinder zurecht geschminkt werden müssen. Ich kenne keine Inszenierung, bei der dies besonders gut gelungen wäre. Den Gesang, den vokalen Glanz in den Stimmen von Wundsam und Novak,  stören diese Masken nicht; sie sind hauchdünn, was aber nur aus direkter Nähe zu sehen ist. Wie immer gibt es bei Freyer die klassischen Figuren seiner zauberhaften Theaterwelt: ein lebensgroßer Bär mit Flügeln auf dem Rücken (ein Bären-Engel) und eine überlebensgroße Katze tänzeln über die Bühne, Nachtgestalten wie aus einer alten Jahrmarktswelt tummeln sich im Bühnenhintergrund, schauen kurz hervor mit teuflisch leuchtenden Augen. Ein rosa Hase sitzt auf der Bühne, ein Zirkusdirektor mit hohem Zylinder und Peitsche führt stumm seine Bewegungen aus. Willkommen in der Manege – hier fühlt man sich an  Filme von Max Ophüls erinnert. Alles ist in Bewegung, gesungen wird häufig auf einem, um den Orchestergraben herum laufenden Steg. Eine große Nähe zum Publikum bringt das mit sich. Kinder, die im Parkett sitzen, schauen gebannt auf die Figuren. 

Staatsoper Unter den Linden/Hänsel und Gretel/Roman Trekel, Marina Prudenskaya/ Foto @ Monika Rittershaus

Musikalisch hört man an diesem Abend natürlich – Staatskapelle Berlin ! – die vielen Wagnerbezüge aus Humperdincks Oper überdeutlich. Unter den Linden kann das gar nicht anders sein. Auch die „Mutter“, gesungen von Marina Prudenskaya,  hat einen gewaltigen und beeindruckenden Wagnerklang in der Stimme. Sind die Figuren von „Mutter“ und „Vater“ (gesungen von Roman Trekel) nun böse oder doch nicht so böse – das läßt Achim Freyer  offen, alles deutet am Schluss der Inszenierung aber auf ein versöhnliches Ende hin. Die einzige (wirkliche!) Geschmackssache dieses Abends ist etwas anderes: mag man nun diese Version mit der „Tenorhexe“ (Jürgen Sacher) oder hätte man lieber die „Sopran-“ oder „Mezzosopranhexe“ ?! Die meisten der erhältlichen CD- und LP- und DVD-Aufnahmen von „Hänsel und Gretel“ haben keine Tenorhexe. Furchteinflößend ist sie aber diese Tenorhexe, mit ihrem kleinen Knusperhäuschen, das ein Werbeträger für viele Produkte sein könnte; kurze Videoeinblendungen deuten das an, aber alles nicht eindeutig, auch nicht eindeutig zu identifizieren. Eine abstrakte Konsumwelt. 

Lauter und begeisterter Applaus am Ende für alle Beteiligten, auch für den englischen Dirigenten Christopher Moulds, der die Staatskapelle Berlin souverän leitete. Besonders viel Applaus, wie sollte es anders ein, für Katrin Wundsam und Evelin Novak, die schließlich beim zweiten Applausdurchlauf ihre Masken auf dem Orchestergrabensteg abnehmen. Anstrengend ist das sicherlich, für die beiden Sängerinnern. Das Publikum aber geht verzaubert nach Hause – ohne das es durch Gegenwart und politische Aktualität belästigt worden wäre. Diese Inszenierung von Achim Freyer könnte zu einem Klassiker im Repertoire der Staatsoper Unter den Linden werden.

Und das wünsche ich ihr. 

 

  • Besuchte Vorstellungen: 18.12.2018  & in der letzten Spielzeit: 08.12.2017 /Rezensent: Josef Fromholzer/Redaktion DAS OPERNMAGAZIN
  • Titelfoto: Staatsoper Unter den Linden/ Hänsel und Gretel/ Ensemble/ Foto @ Monika Rittershaus 
  • Homepage der Staatsoper Unter den Linden

 

 

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