Einsamkeit im Setzkasten – „Tristan und Isolde“ hochkonzentriert im Theater Hagen

Theater Hagen /TRISTAN UND ISOLDE/ Totale / Foto @ Klaus Lefebvre

Wenn sich nach dem Vorspiel zu Tristan und Isolde der Vorhang langsam hebt, gibt er den Blick frei auf einen übergroßen Setzkasten, in dem Tristan und Isolde, und die sie umgebenden Menschen, ihren eigenen Raum haben. Sie handeln  gemeinsam, aber agieren und leben und lieben für sich allein. Sie leben irgendwie zusammen und doch getrennt. Sie sterben auf gleichem Raum, doch ein jeder für sich. Was zunächst befremdlich, – da für eine Operninszenierung nicht alltäglich -, anmutet, brauchte einige Zeit um auch jene bestärkende Wirkung zu entfalten, die Richard Wagners geniale Musik eigentlich nicht bedarf, aber die für ein ganzheitliches Opernerlebnis doch mitunter so unerlässlich scheint. Regisseur Jochen Biganzoli erzählt mehr als eine Geschichte. Er lässt das Publikum gleichzeitig an mehreren parallel verlaufenen, aber in sich verwobenen Geschichten teilhaben. Der menschliche  Mikrokosmos auf kleinstem Raum und doch den Raum sprengend. Musikalisch wurde es ebenfalls ein beeindruckender Abend. GMD Joseph Trafton und das Philharmonische Orchester Hagen in absoluter Bestform und mit Magdalena Anna Hofmann eine Isolde, von der in Hagen noch lange gesprochen werden wird. Richard Wagners Meisterwerk hatte Gestern im Theater Hagen seine begeistert aufgenommene Premiere.  (Rezension der besuchten Premiere v. 7.4.2019)

 

Tristan tötet im Krieg Morold, den Verlobten Isoldes. Eine kurze Zeit danach erscheint bei Isolde ein verletzter Krieger der sich von ihr behandeln lassen will. Zunächst nicht ahnend, wen sie da pflegt, erkennt sie später in dem verwundeten Soldaten den Mann, der ihren Verlobten tötete: Tristan. Unfähig ihren Verlobten zu rächen, lässt sie Tristan gehen.

Tristan soll Isolde als zukünftige Braut zu König Marke bringen. Während der Schiffsüberfahrt nach Cornwall überzeugt sie Tristan, dass er für den Tod Morolds büßen müsse, und reicht ihm einen vermutlichen Todestrank, vom dem sie auch trinkt. Isoldes Dienerin Brangäne, die diesen Trank reichen soll, verwechselt den Inhalt (absichtlich?) und reicht den beiden stattdessen einen Liebestrank. Er entfaltet alsbald seine Wirkung. Nachdem die beiden neu Verliebten eine Liebesnacht miteinander verbracht haben, werden sie am nächsten Tag von Marke überrascht; dieser verwundet Tristan im Kampf. Tristan wird auf seine Burg gebracht, wo er sich nach Isolde sehnt. Alsbald vermeldet Kurwenal die Ankunft des Schiffes mit Isolde. König Marke wurde zuvor durch die Dienerin Brangäne in Kenntnis gesetzt, dass sie es vermutlich war, die für die Liebe von Tristan und Isolde die Verantwortung trüge. Marke war gewillt zu verzeihen. Zu spät. Tristan stirbt und Isolde folgt ihm in völliger Verklärung nach in den gemeinsamen Tod.

Theater Hagen /TRISTAN UND ISOLDE/ Totale / Foto @ Klaus Lefebvre

Regisseur Jochen Biganzoli erzählt die Geschichte von Tristan und Isolde aus mehreren, jedoch in sich verwobenen, Blickwinkeln. Und das auf eine durchaus faszinierende Weise. Biganzoli lässt die Handelnden in einem übergroßen Setzkasten (Bühnenbild: Wolf Gutjahr) agieren. Isolde, ebenso wie Tristan, Brangäne, Marke und Kurwenal haben ein eigenes „Setzfach“ in dem sie scheinbar unabhängig voneinander agieren und interagieren. Dadurch gelingen geschickte Psychogramme der einzelnen Akteure, die sich einem, sofern die Bereitschaft vorhanden ist sich darauf einzulassen, im Laufe des Abends immer mehr erschließen. Wenn Tristan und Isolde sich während des Trinkens des Liebeselixiers scheinbar unabhängig voneinander, da ja räumlich getrennt, den Anfangsbuchstaben des Namens des/der Geliebten auf die Brust zeichnen, hat das schon etwas nahezu mystisches, ja, eben Wagnerisches. Und von derart stillen, oft zarten, Gesten lebt diese Inszenierung. Berührend auch die Momente, in denen die beiden Liebenden sich die Hände reichen – ein jeder für sich ins scheinbare Leere, und doch irgendwie für alle spürbar. Großartig auch Brangänes Darstellung der inneren Zerrissenheit, die sich im Laufe der Handlung immer mehr die Schuld an dem Verlauf der Tragödie gibt. Sie, gefangen in ihrem Abteil des Setzkastens, hilft sich mit Alkohol und der dann obligatorisch notwendigen großen Sonnenbrille über die innere Qual hinweg. Sie, die alles regeln wollte, scheiterte. Tat sie das wirklich?

König Marke war ein Abteil im oberen Bereich zugewiesen. Ein Schlafabteil. Ein Bett und Kleidung an den Wänden deuten an, dass es für Marke ein sehr persönlicher, intimer Rahmen ist, in den ihn der Regisseur gesetzt hat. Und so zeigt es auch einen König, der am Leben und an der unerfüllten Liebe verzweifelt und vieles um ihn herum nicht verstehen kann.

Kurwenal, er erhielt das Außenfach, tapeziert seine Wände mit Bildern des von ihm vergötterten Helden Tristan. Er trägt Tarnanzug und Stiefel. Diese Symbolik verfehlt natürlich nicht ihre Aussage. Aber Kurwenal wirkt in dieser Inszenierung wie ein zahnloser Tiger im Käfig. Seine Kraft bezieht er aus dem lebenden Tristan. Leidend, sterbend und gar tot ist er für diesen Kurwenal nutzlos.

Starke lebendige Momente in rechteckigen Räumlichkeiten, deren Hintergrund sich dann öffnet, wenn der in ihnen lebende Mensch vergangen ist. Einzig bei Isoldes Liebestod, ihrer Verklärung, verdunkelt sich am Ende ihr Lebensbereich und wirkt dadurch unendlich. Ein Moment, der in der Verbindung mit der Musik von Richard Wagner seine große emotionale Wirkung nicht verfehlt! (Licht: Hans-Joachim Köster) 

Das Publikum schloss das Regieteam in seinen Jubel mit ein.

Theater Hagen /TRISTAN UND ISOLDE/ Magdalena Anna Hofmann (Isolde), Zoltán Nyári (Tristan),/ Foto @ Klaus Lefebvre

Es wurde auch musikalisch ein bedeutsamer Abend. Hier sei an erster Stelle Hagens GMD Joseph Trafton genannt, der diesen Abend auch zu seinem großen Abend machte. Er dirigierte Wagners Partitur mit Kraft, Gefühl und unendlich viel Ausdruck, auch und gerade im Detail und liess die Wagnerischen Klangtürme dabei voll entstehen. Das Vorspiel zum dritten Akt habe ich lange nicht mehr so eindringlich gespielt gehört wie am gestrigen Abend in Hagen. Trafton leitete das Philharmonische Orchester Hagen hin zu einer seiner besten Leistungen.(Besondere Erwähnung für das präzise Spiel auf dem Englischhorn von Almut Jungmann auf der Bühne im letzten Akt). Das Philharmonische Orchester Hagen und der musikalische Leiter, GMD Joseph Trafton, erhielten hochverdient großen Applaus vom begeisterten Publikum für ihre Leistung.

Der Opernchor (Männerchor) des Theater Hagen wieder einmal mehr sicher und präzise einstudiert vom Chorchef Wolfgang Müller-Salow.

Die Solisten standen in Nichts nach.

Egidijus Urbonas als Steuermann und Richard van Gemert als Melot gestalteten ihre Partien souverän. 

Ein besonderes Lob an Daniel Jenz, der als Hirte und Seemann mit seiner klaren und ausdrucksvollen Tenorstimme aufhorchen liess.

Wieland Satter war ein äußerst präsenter Kurwenal, stimmlich wie auch darstellerisch. Der Bass-Bariton begeisterte mit bestechender Diktion und großer, mächtiger Stimme. Ein Kurwenal, wie es sich der Wagnerfan nur wünschen kann.

Dem König Marke verlieh Dong-Won Seo großes Profil. Von eindrucksvoller Präsenz waren alle seine Momente, die gesungenen ebenso wie die stumm gespielten.

Theater Hagen/TRISTAN UND ISOLDE/ Khatuna Mikaberidze (Brangäne), Richard van Gemert (Melot) /Foto @ Klaus Lefebvre

Khatuna Mikaberidze war eine bestechend ausdrucksstark singende und ebenso schauspielende Brangäne. Sie verlieh ihrer Rolle ein Höchstmass an sängerischer Gestaltung  und ihre „Habet Acht“ –Rufe“ im 2. Akt erzielten große emotionale Wirkung. Die Mezzosopranistin wurde zu Recht vom Publikum für ihre herausragende Leistung gefeiert. 

Für die äußerst anspruchsvolle Partie des Tristan hat das Theater Hagen Zoltán Nyári engagiert. Der ungarische Tenor, in dieser Inszenierung besonders auch darstellerisch gefordert, sparte nicht mit sängerischem Ausdruck und hatte selbst im dritten Akt, im langen Monolog des Tristan, noch genügend Reserven für die Spitzentöne dieser enormen Wagnerpartie und vermittelte durch sein beeindruckendes Spiel viel vom Leid und der inneren Qual des unglücklichen Helden Tristan. Viel Applaus auch für ihn.

Theater Hagen /TRISTAN UND ISOLDE/ Magdalena Anna Hofmann (Isolde) / Foto @ Klaus Lefebvre

Ihr Rollendebüt als Isolde gab in Hagen die Sopranistin Magdalena Anna Hofmann. Und was für ein Debüt! Am Ende wurde sie für diese Leistung vom Premierenpublikum bejubelt. Natürlich lag das auch am hinreißend und emotional so packend gesungenen „Mild und leise wie er lächelt…(Liebestod)“, aber selbstverständlich nicht nur. Vom ersten Akt an (ausdrucksstark ihr „Wie lachend sie mir Lieder singen“) überzeugte Frau Hofmann mit ihrem kraftvollen Sopran, den sie aber auch zart und zurückhaltend einzusetzen wusste. Es wirkte fast mühelos, wie sie die Klippen eine der wohl schwierigsten Sopranpartien überhaupt meisterte. Und doch ist die Partie der Isolde alles andere als mühelos. Ihre schauspielerische Darstellung der Isolde, mit all den Facetten, die Wagner seiner Partie mitgegeben hat, war hervorragend. Magdalena Anna Hofmanns Debüt als Richard Wagners ISOLDE hätte überzeugender nicht ausfallen können! BRAVO für diese großartige sängerische Leistung!   

 

  • Rezension von Detlef Obens / RED. DAS OPERNMAGAZIN
  • Weitere Aufführungstermine, Infos und Kartenvorverkauf unter DIESEM LINK
  • Titelfoto: Theater Hagen /TRISTAN UND ISOLDE/ Magdalena Anna Hofmann (Isolde) / Foto @ Klaus Lefebvre
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