Die Mezzosopranistin Nicole Piccolomini im Portrait

Opernhaus Bonn / Foto © Thilo Beu
Opernhaus Bonn / Foto © Thilo Beu

Mit 17 Jahren machte Nicole Piccolomini den Traum wahr, der für viele ambitionierte Nachwuchskünstler immer einer bleibt. Sie bewarb sich an der weltberühmten Juilliard School in New York City, erhielt die Zusage und absolvierte dort ihre musikalisch-dramatische Ausbildung als Sopranistin.

Erst mit dem Abschluss in der Tasche und den ersten Engagements entpuppte sich ihr wahres Talent als Mezzosopran, sogar als sehr tiefer und verführerischer Mezzo. Auf die Bühne und zum Performen hatte es sie früh gelockt. Aufgewachsen als jüngere Schwester von zwei älteren Brüdern in Long Island an der amerikanischen Ostküste und von der Mutter in ihrer künstlerischen Begabung sehr gefördert, nahm sie zunächst Ballett- und Tanzunterricht.  

 

Am Theater Bonn sehen wir sie am 10. März 2019 in der Elektra von Richard Strauss. Nein, nicht in der Titelrolle – die bleibt dem dramatischen Sopran vorbehalten. Sie probt gerade die Klytämnestra, die Königin von Mykene, die sich in den Wirren des Trojanischen Kriegs als Ehebrecherin und Gattenmörderin einen unrühmlichen Namen machte. Tiefe, lange Töne in sprechähnlichen Bögen verlangt die Rolle – exakt in ihrer dunklen Tessitura angesiedelt. Sie liebt die Klangfarben, mit denen Strauss die Partie (und die gesamte Oper) in einer überwältigenden Komplexität ausstattet. Darüber hinaus bringt sie eine Physis mit, die jeden Zoll zu einer Königin (every inch a queen) macht: klassische wie gemeißelt symmetrische Gesichtszüge und Augenbrauen, die aus jedem Minenspiel ein Statement machen.

Wenn sie von den Proben berichtet, kommt sie gleich ins Schwärmen. Maestro Dirk Kaftan habe so eine unprätentiöse Professionalität, wie man sie selten finde. „He supports the singers und finds time to discuss minute details.“ Und auf der anderen Seite erkläre er den Musikern (für die Elektra in beachtlicher Zahl im Graben und der Unterbühne versammelt) die Geschichte und die Zusammenhänge. „We hear them, but they don’t hear us“, erläutert Nikki, wie ihre Freunde sie nennen. 

I worked really hard on that role“, sagt sie. „It’s all about the Textverständlichkeit. The text is more or less like spoken language. That’s why a “warummmm” requires more than one ‚m‘ at the end.“ Mit ihrem voice teacher Gundula Hintz in Berlin hat sie Phrase für Phrase in Satzmelodie und Ausdruck erarbeitet. Das Ergebnis hat sich bei der Matinee sehen und hören lassen! All die Ängste, die in Klytämnestras Nächten als Alpträume ihr Gewissen mit schwerer Schuld quälen, muss sie zum Ausdruck bringen. „She displays the haughtiness of an invincible queen and simultaneously the fear of a child at night.“ 

Ihre königliche Unantastbarkeit vermittelt ihr Bühnenoutfit. Nikkis Augen strahlen, wenn sie es beschreibt. „I felt like a superstar at the Academy Awards when I first wore it.“ Eine goldglitzernde bodenlange Robe wurde ihr maßgeschneidert, inspiriert von den exquisiten Kleidern der Haute Couture wie im Hause Dior. Auch eine Perücke und eine Krone werde sie tragen und so der Schändlichkeit ihres alles andere als edlen Verhaltens die Außenhülle diametral entgegensetzen.

Nicole Piccolomini / Foto mit freundlicher Genehmigung von Hans-Martin Asch, Berlin

Einige Bonner dürften sich an ihren Gastauftritt in Astor Piazollas Maria de Buenos Aires 2016 erinnern. Damals hat sie schon mit dem Tenor Johannes Mertes zusammen auf der Bühne gestanden, der in Elektra den kleineren Part des Aegisth singt. Andreas K.W. Meyer kennt sie von der Deutschen Oper Berlin. Leider war sie 2017 mit anderen Rollen bereits verpflichtet, als sie für John Adams‘ und Peter Sellars‘ The Gospel according to the other Mary angefragt wurde. Too bad! Von Stimme und Bühnenpräsenz kann man sie sich auch im Nachhinein gut in dieser Produktion vorstellen. 

Weiche, Wotan, weiche!“ – Die Erda im Rheingold hat sie in Leipzig mehrfach gesungen, weitere Wagner-Mezzos wie Schwertleite in der Walküre oder die erste Norn in der Götterdämmerung. Die Maddelena in Rigoletto gab sie in Caramoor bei New York, in Florenz, Saint Louis, Detroit, Delaware und an der Lyric Opera of Chicago. Auch Strauss hat sie im Repertoire: den Pagen in der Salome und die Dryade in Ariadne auf Naxos. Wie eine Weltreise im Zeitraffer hört sich das Spektrum ihrer Auftrittsorte an großen Häusern an. Ins Schwärmen gerät sie beim Santa Fe Opera House. „If you ever have the opportunity – go there and book any opera in their repertoire. The stunning sunsets are part of the production, the air is so crisp and clear, completely unpolluted. And yet, at 7,000 feet altitude you feel like a different singer. The height affects your vocal chords, lungs and diaphragm. When you get down to sea level again, you feel all the bigger and more powerful – like superwoman!“

Nicole Piccolomini hegt eine besondere Leidenschaft für das Liedersingen. „It makes all the difference in the world. Just the pianist and your own voice.“ Als Liedersängerin gehöre ihr die Bühne ganz allein, sie sei für den Spannungsbogen genauso verantwortlich wie für die dramatische Ausarbeitung. Ob die Winterreise für sie infrage käme? Eher nicht, zumal Schubert es ja tatsächlich für Tenor geschrieben habe. Aber bei Mahler lächelt sie fast verklärt: „I adore Mahler.“ (In 2018 she released her first solo recording featuring works of Wagner, Mahler, Brahms and Pfitzner in collaboration with Edition Roy Berlin and pianist Christoph Staude.)

Nach ihrem Bachelor of Arts an der Juilliard School studierte sie weiter Gesang an der renommierten Academy of Vocal Arts in Philadelphia und errang mehrere Auszeichnungen und Stipendien. 15 Jahre lang trainierte sie zusätzliche als Tänzerin; ihre Dynamik und ihre Körperspannung führt sie eindeutig auf das physische Training zurück. „Für uns Sängerdarsteller wird gutes Aussehen ja immer wichtiger. Bei den Arbeitsproben und Auditions sollen wir gleichzeitig Nuancen nach Wunsch des Dirigenten oder Opernchefs darbieten, gleich in die Rolle gehen und uns gut bewegen.“ 

Nicole Piccolomini verfügt also über das ganze Paket, gleichermaßen ein Gesamtkunstwerk. Dabei sind ihr der gesundheitliche Aspekt und der ganzheitliche Ansatz eine Herzensangelegenheit. Sie lebt vegan, meditiert, schöpft Kraft aus ihrer Spiritualität und hat ein online-Studium in Achtsamkeit absolviert. „My life has changed dramatically since I started leaving my fenced-in vulnerable life of an opera singer.“ Fröhlicher sei sie geworden in den letzten Jahren, herzlicher, freier, offener und viel zufriedener. 

In Berlin hat sie nicht nur einen Koffer, sondern gleich eine ganze Wohnung – ihre eigentliche home base, von der aus sie zu ihren Engagements reist. Spätestens alle drei Monate ziehen das Heimweh und die Liebe zu den Menschen dort sie an die amerikanische Ostküste. „I am approaching the peak in my career.“, sagt sie und wünscht sich als nächste Schritte auf der Karriereleiter Liederkonzerte (Mahler!) und vielleicht mal eine Rolle, in der sie das Sängerische mit dem Tänzerischen verbinden kann. 

Strauss‘ Klytämnestra fleht „Die Träume müssen ein Ende haben.“ Und jedes Mittel ist ihr recht (wen soll sie opfern?), um die quälenden Gewissensbisse abzuschütteln. Schreckt Sie das Archaisch-Grausame der Handlung, wenn ihre Tochter ihr voraussagt, dass ihr eigener Kopf rollen muss? – Keineswegs! Im gemeinsamen Spiel mit ihrer Antagonistin, der Estin Aile Asszonyi als Titelheldin Elektra, lotet sie Abgründe des Konflikts aus. That’s what she calls being a professional! Für diese Darstellerin haben Träume einen ganz anderen Stellenwert. „Don’t dream your life, live your dream!“ lautet ihr Grundsatz. „I always get emotional and have to fight the tears …“ So geht es ihr immer, wenn sie über ihre Mutter Mary spricht, die ihr alle Kurse, alles Training ermöglichte, ihr alle Unterstützung gab. Und ihren Namen, der sie für ein Leben auf der Bühne nahezu prädestiniert.

Bei Piccolomini denken die Literaturbewanderten an Schillers zweiten Teil der Wallenstein-Trilogie, an die beiden Kriegsherren. Die Kenner der italienischen Geschichte überblicken eine Reihe von hochrangigen Geistlichen in der Zeit der Renaissance und die Mozartliebhaber wissen um den Namen als Zusatz zu dessen Missa brevis. Hier schließt sich also der Kreis zur Musik. An der Deutschen Oper Berlin war sie als dritte Dame in der Zauberflöte zu hören, außerdem in zahlreichen Rollen in Opern von Wagner, Verdi und auch Respighi. Ein weiter, sehr erfolgreicher Weg von dort zur schillernden Klytämnestra in der Premiere der Elektra am 10. März 2019.

 

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