Der Tenor Santiago Sánchez im Portrait

Santiago Sánchez/Foto @ Eva Berbel

Lenski, Tamino und Alfredo Germont – diese Rollen hatte er für das auditioning, das Vorsingen in Bonn, einstudiert. Eugen OneginDie Zauberflöte und La traviata sollten auf dem Spielplan der Oper Bonn stehen. Sollten … und dann kam alles ganz anders, wie wir wissen. Die ersten drei Rollen, in denen das Publikum der Oper Bonn den lyrischen Tenor Santiago Sánchez hörte, spielten auf einer ganz anderen Klaviatur. Wie gestaltete sich für den jungen Sänger der Einstieg ins feste Ensemble mit so zahlreichen, der Pandemie geschuldeten Planänderungen?

 

 

Seit der Spielzeit 2020/2021 gehört Santiago Sánchez fest zu dem Haus, das früher mit dem Namen „Scala am Rhein“ die guten alten Zeiten mit Stars wie Placido Domingo oder Anja Harteros (im Ensemble von 1996 – 99) verband. „Das Bonner Opernhaus atmet diese Geschichte, wo großartige Sängerinnen und Sänger den Grundstein für die künstlerische Qualität legten. Ich bin sehr dankbar, dass ich gerade hier so viele Chancen erhalte und so viel lernen kann. Ich erweitere mein Repertoire und gebe mit dem Rollenstudium und den Aufführungen meiner Stimme die Möglichkeit, neue Facetten zu entwickeln.“, so Santiago. Hatte ich mir Gedanken gemacht, in welcher Sprache wir wohl ein schönes Gespräch hinkriegen, wischte schon die Begrüßung alle Bedenken hinweg. Er spricht Spanisch als Muttersprache, Englisch, Deutsch und Italienisch so, dass er alles lesen und locker Gespräche führen kann. Chapeau!

Sein exzellentes Deutsch verdankt er auch seinem Studium am Mozarteum in Salzburg, wo er im Juli 2021 sein Masterstudium in Lied und Oratorium erfolgreich abschloss. Das Pendeln zwischen Salzburg und Bonn war wohl eine Herausforderung, aber die Leitung des Theater Bonn habe ihn sehr unterstützt: „Schließ dein Studium ordnungsgemäß ab; das ist gut für dich und gut für unser Haus.“ Inzwischen hat er eine Wohnung in der Nordstadt gefunden und erkundet das reichhaltige Bonner Kulturleben, singt beim Schumannfest und freut sich, auch die Opernhäuser in der Region nach und nach zu besuchen: Köln, Aachen, Deutsche Oper am Rhein, Aalto in Essen …

Santiago Sánchez/Foto @ Thilo Beu – Oper Bonn

Die Feuertaufe auf der Bonner Bühne bestand er in der Rolle des jungen Faust im gleichnamigen musikalischen Traumspiel von Jürgen R. Weber. „Die Noten waren original von Gounod, aber der Kontext in diesem hauptsächlich vom Kinder- und Jugendchor getragenen Stück doch deutlich anders.“ Ob er denn mit so einer eher kleinen Rolle zufrieden gewesen sei? „Weißt du, es kommt darauf an, auch in eineinhalb oder drei Minuten die Rolle so auszufüllen, dass du alles darein legst.“ Und die Titelrolle in Don Carlo? „Die hat natürlich eine ganz andere Dimension, aber die Szene, die Solo-Arie oder das Duett musst du auch einzeln gestalten.“

Auf den kleinen Einstieg folgte eine lange Pause. Im Nachhinein, meint Santiago, sei das gar nicht so schlecht für ihn gewesen. Er habe dann die folgenden Rollen mit moderatem Tempo, ein paar Seiten Partitur am Stück, einstudieren und reifen lassen können. Er sei einfach so froh gewesen, anders als andere Kollegen immer ein Ziel vor Augen und eine Aufgabe gehabt zu haben. Und welch ein krasser Wechsel vom Albert in Leonore 40/45 von Rolf Liebermann zum Don Carlo von Giuseppe Verdi. Erstere Rolle hatte noch kaum zuvor jemand gesungen, in letzterer bewährten sich Weltstars wie Jonas Kaufmann und Rolando Villazón. Er und das gesamte Ensemble seien völlig überrascht gewesen, dass das Publikum Leonore 40/45 mit stehenden Ovationen belohnte, und über alle Maßen beglückt, dass Don Carlo ebensolchen Jubel und große Begeisterung hervorrief.

„Es war ein Glücksfall für mich, mit einem Dirigenten diese große Partie einzustudieren, der genauso jung ist wie ich. Schnell etablierte sich zwischen Hermes Helfricht und mir eine Augenhöhe, die eine tolle Zusammenarbeit ermöglichte.“ Über die anderen Solistinnen und Solisten wie Anna Princeva, Dshamilja Kaiser und Giorgos Kanaris spricht er mit einem Leuchten in den Augen, schwärmt von den gemeinsamen Proben und Auftritten mit den erfahrenen Ensemblemitgliedern. Da kommt einem gleich das Bild vor Augen, wie Giorgos Kanaris als Posa die Hand auf seine Schulter legt in nahezu väterlicher Freundschaft. Im Stück und im echten Leben.

Was macht denn für Santiago den Reiz dieser komplexen Partie aus? Die Fragilität des Infanten und dass die Oper die Figur in extrem unterschiedliche Situationen leitet: der verliebte Prinz (im Fontainebleau-Akt), der Rebell, der gegen den Vater aufbegehrt, der Freund, der sich mit dem Vertrauten Treue bis in den Tod schwört, der ängstlich Verlassene im Gefängnis, der Einsame, dem möglicherweise auch ein Autodafé droht, während der Chor hinter ihm mit 120 Dezibel singt. „Dieser Mensch entwickelt sich, lotet alle Optionen aus und sieht am Ende keinen Ausweg mehr als den Selbstmord. Das darzustellen, in Sprache und Noten zu verkörpern, das macht den Reiz dieser Rolle aus.“

Wie hält er sich fit für so einen Bühnenmarathon? Ja, er trainiert schon ein wenig im Fitness-Studio. Aber er zeigt seine Willenskraft, seinen Ehrgeiz und sein Durchhaltermögen auch in den Laufschuhen. Voriges Jahr hat er für einen echten Marathon trainiert, der dann leider ausfiel. Nicht für Santiago! Morgens früh an den Start (es darf noch nicht sommerlich warm sein!) und den kleinen Privatmarathon von Bonn-Nord nach Remagen und zurück gelaufen. Solch eine Unternehmung kennzeichnet ihn und verleiht einem Wort, das er oft benutzt, eine persönliche Bedeutung: Balance. Er powert sich aus, damit sein Gesang und sein Spiel mit seiner Physis im Einklang stehen. Als Graf Elemer kann er Arabella so verliebt anschmachten, dass seine himmelblauen Augen von der Bühne runterleuchten, und dabei gut Emotion und Selbstschutz austarieren: Professionalität und Selbstfürsorge eben.

Santiago Sánchez/Foto @ Eva Berbel

Wie kam Santiago Sánchez zur Musik? Er ist in Uruguay geboren und mit 10 Jahren mit seiner Familie nach Valencia in Spanien gezogen. Die Musik lag in der Luft und in den Genen; sein Vater spielte Gitarre und sang lateinamerikanische Lieder und Tangos. Die ersten Bühnenereignisse in Valencia La Cenerentola und Tosca. Das fand er schön, aber der Weg zur Klassik war nicht vorgezeichnet; stattdessen spielte und sang Santiago in Pop Bands und Jazz Combos, verdiente Geld als piano player in Bars. „Popsänger arbeiten mit Mikrofon. Sie haben in der Regel eine kleine, aber sehr hübsche Stimme und können hohe Tonlagen präsentieren wie Bruno Mars zum Beispiel. Ich merkte aber bald, dass meine Stimme mehr Volumen hat, Registerwechsel mühelos vollzieht, elastisch steigt und sinkt.“ Er entdeckte für sich die Gesangskunst der 3 Tenöre – Carreras, Domingo, Pavarotti – und damit ein völlig neues musikalisches Universum. Also fuhr er weite Strecken für seinen Gesangsunterricht und machte sich dann auf ins Mekka der Stimmbildung, zum Mozarteum in Salzburg.

Jetzt also Bonn. Wo er gerade den Alfred in Die Fledermaus probt. Die leichte Muse nach Tod & Teufel im Don Carlo? „Natürlich ist das eine witzige, vom Temperament her heitere Rolle. Aber die Partie darf man nicht unterschätzen“, erklärt Santiago. Außerdem studiert er bereits Mozarts Don Giovanni, um bei der Wiederaufnahme im Mai 2022 als Don Ottavio den wahren Schmelz des lyrischen Tenors auf die Bühne zu bringen. „Ich liebe diese wunderbaren Legatolinien,“ schwärmt Santi, wie ihn seine Freunde nennen. Meine Freude auf meine Lieblingsarie „Dalla sua pace“ dämpft er allerdings. Sie wurde gestrichen. Daran knüpfe ich meinen persönlichen Wunsch: Ob er sie wohl bei unserem nächsten Treffen nur für mich singt?

 

  • Das Interview führte Mechthild Tillmann für Ihren Blog LIVEINDEROPER
  • DAS OPERNMAGAZIN dankt Mechthild für die Zustimmung ihr tolles Sängerportrait ebenfalls veröffentlichen zu dürfen
  • Santiago Sánchez auf FACEBOOK 
  • Titelfoto: Santiago Sánchez Foto @ Eva Berbel

 

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