Der Opernsänger Martin Tzonev im Portrait

Martin Tzonev in Attila /Sofia National Opera&Ballett

Ein Publikumsliebling nimmt im schönsten Frühlingssonnenschein mir gegenüber Platz. Martin Tzonev – in der Spielzeit 2018/2019 am Theater Bonn als Bass so vielbeschäftigt, dass wir unser Gespräch immer mal wieder verschieben mussten. Unmittelbar vor der Probe für die letzte Premiere der Saison, Die Sizilianische Vesper, finden wir nun eine Lücke. Von der Donau an den Rhein: So könnte seine Kurzbiografie in wenigen Worten lauten.  

 

 

Gehen wir also zunächst zurück zum Ursprung. Eigentlich sollte der Knabe am 1. März zur Welt kommen; das hatte seine Mutter sich gewünscht und danach den Namen ausgesucht. Aber der vorwitzige Kerl meldete sich bereits am 28. Februar zur Stelle. Beim Namen für den Monat март blieb es. Und schon sind wir bei den astrologischen Einflüssen. Den Fischen sagt man ja hohe künstlerische Begabung nach, sie stecken voller Talente, die sie im Laufe ihres Lebens wie Schätze heben.  (Mein Sternzeichen Wassermann hält er übrigens für weithin überschätzt. Die Aquarians seien längst nicht so strukturiert und intelligent wie immer behauptet.) 

Martin Tzonev als Boris Godunov

Martin Tzonevs Heimatstadt Russe liegt an der Donau, knapp 70 km südlich von Bukarest, gut 320 km östlich von Sofia und rund 200 km westlich von der Schwarzmeerküste. Die Stadt mit rund 150.000 Einwohnern, zu Martin Tzonevs Jugendzeit noch gut doppelt so groß, gilt als kulturelles Zentrum von Nord-Ost Bulgarien; hier gab es schon immer eine Oper, Theater und Museen. Die Stadt trug deshalb den schönen Beinamen „das kleine Wien Bulgariens“. Einem liebevollen Vater hat er die frühe Nähe zur Musik zu verdanken. Der arbeitete als Studienleiter an der Oper; die Mutter war Erzieherin in einer Kita und sang als Amateurin im Chor. Als einzigem Kind wurde ihm viel Zuneigung und Unterstützung zuteil. Martin Tzonevs geht der frühe Tod des Vaters vor 15 Jahren immer noch nahe und seine Mutter verbringt viel Zeit hier in Bonn. Sie muss ja „bei dem Jungen immer mal nach dem Rechten sehen.“

Martin absolvierte die Schule und studierte zunächst Malerei und Zeichnen in Richtung Architektur, dann sollte er Wirtschaftsingenieur werden. In Zeiten des Umbruchs von der kommunistischen (Gewalt-) Herrschaft auch für ihn die Qual der Multi-Optionalität. Ein bisschen Klavier spielte er bereits, das Gitarrespielen brachte er sich selbst bei. Gleichzeitig nahm er Gesangsunterricht – bei einem strengen Lehrer, der die physischen Grundlagen für eine lange und äußerst erfolgreiche Karriere bei und mit ihm legte. Jeder, der ihn heute kennt, nennt gleich sein Markenzeichen: den Haarzopf, gelockt oder geflochten. Und das zauberhafte Grübchen in der linken Wange, das ihm immer einen entspannten, heiteren Ausdruck verleiht. 

Die aktuelle Frisur erinnert noch vage an seine Jahre in der Heavy Metal Szene. Er trug die Lockenmähne bis zur Taille, spielte E-Gitarre und nahm zwei Alben mit selbst komponierten Stücken auf. Wer sich ihn auf Festivals wie Wacken vorstellt, hat ein ziemlich zutreffendes Bild im Kopf. Nur mit dem Satanskult der Szene wollte er sich nicht anfreunden. Als gläubiger Christ distanziert er sich da deutlich. Allerdings musste er sich entscheiden: ein wildes Musikerleben mit der Band oder ein deutlich seriöserer Beruf in Theaterstrukturen. Was gab den Ausschlag? „In einer Band gibt es immer zu viele Unwägbarkeiten und unsichere Faktoren: die anderen Jungs, Unstimmigkeiten, Eifersucht, Drogen, früher Tod … Als Opernsänger muss und kann ich mich im Wesentlichen auf mich, meine Professionalität und meine Ethik verlassen.

Martin Tzonev als Wotan (Walküre) / Foto @ Martin Tzonev

Bereits am Konservatorium in Sofia fiel er den Talent Scouts der westlichen Bühnen auf. Was konnte er vorsingen bei der Audition? Die Szene des Farrando im Trovatore, ein Lied von Schubert … Also von Sofia direkt mit einem Stipendium nach Graz ins Opernstudio. Er sprach nur minimal Deutsch (vom Rollenstudium geprägt), außer seiner Muttersprache natürlich Russisch, Italienisch, Englisch (wegen der Rockmusik!). Nun sollte er sich also seine heutige tägliche Umgangssprache in ein paar Monaten aneignen. Er stapelt gern tief, was seine Sprachkompetenz angeht. Er entpuppt sich schnell als sehr lebhafter Erzähler! 

Dann führte ihn sein Weg nach Amsterdam und von dort direkt nach Wien an die Volksoper. Wien, Wien, nur du allein … diese glückselige Weise wurde ihm nicht zum Motto. Alles, was er dort in seinem zweiten Jahr zu singen bekam, war Dottore Grenvil in La traviata. Das reichte nicht ganz, um einen ehrgeizigen jungen Bass zufriedenzustellen. „Ich war so hungrig, ja richtig gierig nach tollen Basspartien. Ich hatte bereits 10 davon auf die Bühne gebracht. Andere habe ich für mich einstudiert, um so für den Ruf an ein großes Haus gut vorbereitet zu sein.“ Und der kam … ans Theater Bonn im Jahre 2003, als er gerade über 30 war. Vom ersten Tag an eroberte er die Herzen des Bonner Publikums im Sturm. Eine große Stimme mit einer ungemein schönen Klangfarbe, die mühelos auch die tiefen Lagen des Basses und die Höhen des Baritons abdeckt. Hier in Bonn war er bis heute Don Magnifico La cenerentola, König Saul in Händels gleichnamiger Oper, Don Basilio in Il barbiere di Siviglia, Mephisto in Faust, Banco, Monterone, Padre Guardiano in Verdi-Opern, Leporello und Figaro in Don Giovanni und Le nozze di figaro, Athlet in Lulu, König Marke in Tristan, und … in vielen anderen Rollen.

Als seine großen Vorbilder verehrt er neben anderen Cesare Siepi und Nicolai Georgiev Ghiaurov, – von jeder Stimme lernte er Feinheiten. Ins Schwärmen gerät Tzonev, wenn er über Ghiaurov, seinen bulgarischen Landsmann, spricht, der in Fachkreisen als einer der weltbesten Bassisten anerkannt ist. „Hör dir mal die Aufnahme des Don Giovanni an mit ihm und Christa Ludwig unter dem Dirigat von Otto Klemperer. Unübertroffen! Der Mann hat einen Ozean von einer Stimme.“ Ein schönes Bild, wie sich Gesang über das weite Meer erstreckt und den ein einziger Menschen trägt.

Opernhaus Bonn / Foto © Thilo Beu
Opernhaus Bonn / Foto © Thilo Beu

Mein Gesprächspartner zeigt in jeder Hinsicht Haltung: politisch, ethisch, künstlerisch. Wenn er von seiner Heimat spricht, schwingt ein gesunder Nationalstolz mit. Die bulgarische (wie die mazedonische, serbische, kroatische, nordgriechische und teilweise türkische) Kultur geht auf die Thraker zurück, dem größten Volk zur Zeit der griechischen Antike. „Bei uns gab es bereits eine Hochkultur, als Westeuropa aus finsteren Wäldern bestand und Russland nur ein großes, unbesiedeltes Gebiet auf der Landkarte war.“ Archäologen könnten sich in Russe durch zwanzigtausend Jahre Geschichte graben. Diese Stadt und ihre Kultur haben auch den Nobelpreisträger Elias Canetti hervorgebracht, der für sein breites Spektrum an Literatur und soziologischer Forschung ausgezeichnet wurde.  Leider habe Bulgarien in Interessenskonflikten immer im Fadenkreuz zwischen Ost und West, Nord und Süd gestanden – leicht zu verdeutlichen an den erlaubten und verbotenen Gas-Pipelines, die über diesen Drehpunkt laufen.

Nun also Bonn. Martin liebt die Stadt, den breiten Strom. Hier lebt er mit seiner Frau und den beiden Kindern. Seinen Sohn hat er Yassen, (mit der Betonung auf „a“) bulgarisch Ясен, genannt.  „Weil der Name auf Deutsch ‚Esche‘ bedeutet. Nicht nur bei den Sternzeichen kommen wir überein. Mein Sohn heißt wie er Martin, hat auch im März Geburtstag, meine Tochter heißt Linda – das erklärt sich dann von allein. Seit 15 Jahren ist er nun sesshaft geworden – und pflegt doch die Sehnsucht nach der großen, weiten Welt. Als Leporello hat er in Bonn debütiert – die Rolle ihm wie auf den Leib geschneidert. Dabei liegt ihm die Titelpartie des Don Giovanni so gut, dass er damit regelmäßig in Sofia und Russe auftritt und vor ein paar Jahren vom Fleck weg für die Oper in Lima in Peru engagiert wurde und nach Gijon in Spanien. Darüber hinaus ist er als Einspringer überall gefragt, weil er seine Rollen tadellos „draufhat“ und so ein hohes Berufsethos mitbringt.

Wir Künstler haben ja einen Auftrag, nämlich unsere Kunst über die ganze Welt zu tragen. Es ist wichtig, dass wir Gastrollen an anderen Häusern übernehmen, dass wir andere Strukturen kennenlernen und den Produktionen an vielen verschiedenen Spielstätten unsere eigene Farbe verleihen.“ Solche auswärtigen Engagements funktionieren teilweise nur, weil sowohl in osteuropäischen Ländern wie auch in den USA die Opern „saisonal“ auf dem Spielplan stehen. Das heißt, en bloc führt das Haus dieselbe Oper vielleicht zehn Mal in einem Monat auf, für große Partien durchaus machbar. Besser planbar vor allem für solche Artisten, die frei über Agenten vermittelt werden und keinem festen Ensemble angehören. 

Martin Tzonev reist auch als Ensemblemitglied viel: Sofia, Paris, Montpellier, Gijon, Amsterdam, Rom, Wien, Salzburg, Stuttgart, Freiburg, … und sogar ans Bolschoi Theater in Moskau. Er sang den Wotan, Boris Godunov, Attila, Filipo II, Ramfis, Roger, Don Giovanni … und all‘ seine Paraderollen.

Martin Tzonev als Dr. Kolenatý/ Foto @ Thilo Beu

Im Vorfeld zur Sache Makropulos hatte Martin Tzonev seine außerordentliche Freude zum Ausdruck gebracht. „Endlich mal eine ernste Rolle und keine lustige Verkleidungsgeschichte wie die des Elviro im Xerxes.“ Wer ihn auf der Bühne als Dr. Kolenatý erlebt, entwickelt größten Respekt für seine Sangeskunst genauso wie für sein schauspielerisches Talent. Er hat eine natürliche Bühnenpräsenz, die gleichermaßen auf Technik wie auf Erfahrung beruht. Martin Tzonev verleiht jeder Figur ihre eigene (Klang-) Farbe, macht sie sich zu eigen und dadurch wiederum einzigartig.

Hat er eigentlich Lieblingsregisseure? Ja, auf jeden Fall! Am liebsten sind ihm diejenigen, die den Sängerdarstellern sehr viel Raum bieten. Christopher Alden in der Sache Makropulos übernahm sehr bereitwillig die Gestaltungsinitiativen der Solisten.  Die Elektra inszenierte der Leipziger Theaterregisseur Enrico Lübbe. Da erhellt ein Strahlen Martins Gesicht. „Irgendwie habe ich immer auf den Orest gewartet. Die Partie hat mich stets fasziniert. Diesen Mann versehrt und traumatisiert darstellen zu dürfen ist ein Geschenk. Dazu die fantastische, wie für meine Stimme komponierte Musik.“ In der Tat, er durchschreitet dieses geniale Interieur vom Plastikmüllsackuntergrund und dann die Treppe hinauf wie ein Herrscher. Auch von hinten sehe ich, dass dieser Orest ein Königssohn ist, ich spüre den Thraker in ihm, der in Mykene seinen Thron zurückerobert. Da stecken hohe Schauspielkunst und Würde drin. 

Großen Respekt zollt ihm das Publikum und erweisen ihm sicher auch die Theaterleitung. In der vorigen Woche sang er drei große Basspartien an drei Abenden hintereinander. Den Roger in Jerusalem von Giuseppe Verdi, Orest in Strauss‘ Elektra und Dr. Kolenatý in Janáčeks Die Sache Makropulos. Drei Sprachen, drei Musikrichtungen, drei Dirigenten: Dirk Kaftan, Hermes Helfricht, Will Humburg. Da zieht man am besten tief den Hut – Glanzleistungen in jeder Hinsicht. Martin Tzonev sagt nicht nein, wenn die Rollen auf ihn zukommen. „Pflicht und professionelle Würde sind mir äußerst wichtig.“, sagt er dazu bescheiden. Ein gigantisches Pensum, in der Qualität auf gleichbleibend hohem Niveau. 

Martin Tzonev als Leporello

Hat er ein Ritual vor jedem Auftritt? Ein Geheimrezept für die nahezu unendliche Belastbarkeit seiner Stimme? Kraft zieht er aus seinem Glauben, seine Stärke spürt er tief in sich, da braucht er keinen Talisman. Und für die Stimme reicht ihm außer der guten Basis und seiner ausgefeilten, weil sehr fein studierten Technik nur, ausreichend zu trinken. Und etwas kleinlaut schiebt er hinterher, dass er schon immer raucht und dass dieses kleine Laster und die Stimmbänder offensichtlich in friedlicher Koexistenz leben. Davon mag sich jeder nahezu allabendlich in den Aufführungen des aktuellen Spielplans überzeugen und schon mal den 25. Mai 2019 für die Premiere der Sizilianischen Vesper notieren. Dann singt er den Comte de Vaudemont auf Französisch. Und dazu ruft jetzt der Probentermin.

Was macht er, wenn er nicht probt oder auf der Bühne steht? Er liest viel. Bücher, mit denen er seine breit gestreuten Interessen vertieft. Literatur, Wissenschaft, Naturkunde faszinieren ihn genauso wie Geschichte und Politik. Und dann … dann greift er gern mal wieder in die Saiten. Nach gut 10 Jahren Abstinenz stehen zuhause jetzt wieder drei, vier Gitarren, seine alte Leidenschaft holt ihn ein. Kein Riesenverstärker dazu, sondern Kopfhörer und sein PC – so geht Spielen und Komponieren heute.

Auf seine unvergleichlich osteuropäisch-höfliche Art verabschiedet er sich und lässt mich voller Ideen und Eindrücke zurück. Was für ein feiner Kerl und toller Sänger!

 

  • Portrait des Künstlers von Mechthild Tillmann / Opernblog LIVEINDEROPER
  • Titelfoto: Martin Tzonev / Foto @ Mechthild Tillmann
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