Der Dirigent Marcus Merkel im Gespräch

Marcus Merkel / Foto @ Klaus Billand

Ein Ausnahmetalent am Dirigentenhimmel!

Schon bei seinem Besuch in Wien hatte ich die Gelegenheit, das musikalische Großtalent Marcus Merkel zu interviewen, der bereits seit 2015 Kapellmeister an der Grazer Oper unter Chefdirigentin Lyniv ist, die das Haus bekanntlich gerade verlassen hat. Marcus, erst 29  Jahre alt, war mir schon bei zwei kleinen Wagner-Produktionen in der Porzellanfabrik Bayreuth am Rande des berühmten Grünen Hügels aufgefallen. Hier begleitete er mit dem Klavier 2014 eindrucksvoll souverän eine dreistündige Kammerfassung von Richard Wagners „Parsifal“ für vier Sänger der Opernkompagnie „Opernleben“ und 2019 den 1. Aufzug der „Walküre“ mit der ­­­­­­­­Kompanie „freebirdopera“, die beide große Erfolge feiern konnten. (Interview v. Dr. Klaus Billand – hier als Gastartikel für DAS OPERNMAGAZIN

 

  • Sein Werdegang

Marcus Merkel, der im Jahr 1991 in Berlin, also nur ein Jahr nach dem Fall der Mauer, geboren wurde und aufgewachsen ist, agiert nicht nur als Dirigent, sondern auch als Pianist auf der Bühne und ist nebenbei auch noch Komponist. Mit seinen Werken gewann er mehrfach Wettbewerbe wie den deutschen Bundeswettbewerb Komposition. Im Jahre 2013 gründete er die Junge Philharmonie Berlin und ist seither deren künstlerischer Leiter. Gastspiele führten ihn bereits nach Kyoto, Amsterdam, Rostock und in der Saison 2018/19 nach Ägypten, England und Österreich.

Es begann alles schon früh. Seine Mutter ist eine große Freundin der Hausmusik, und so saß der kleine Marcus schon sehr früh am Klavier. Die Neigung zur klassischen Musik entwickelte sich umgehend. An der Musikschule nahm er Klavierunterricht.  Dann sah er einen Film über die Wiener Sängerknaben. Der Wunsch erwachte sofort, einem solchen Kinderchor beizutreten. So wirkte er – mit einer schönen Sopranstimme – beim Kinderchor der Lindenoper Berlin mit. Bei Prof. Renate Faltin von der HfM „Hanns Eisler“ in Berlin begann er kurz darauf, Gesang zu lernen.  Als Pianist errang er den 3. Preis des Bach-Klavier-Wettbewerbs Köthen 1999. Da war er gerade mal acht! In den Jahren darauf konzentrierte sich Marcus zunächst auf Improvisationen und begann dann auch schon mit der Komposition. Jahrelang paraphrasierte er Melodien und spielte auch Jazz am Klavier, später zudem als Sänger. Er spielte sogar Saxophon in jener Zeit, und lernte auch Kontrabass. Mit 15 bis 16 Jahren hatte er auf diesem Gebiet schon eine ganze Menge gemacht. Dann hörte er die Berliner Philharmoniker ein Stück spielen und „fand das ganz nett“. Das war wohl der point of no return. Er machte Ensemble-Kompositionen für Kammermusik mit etwa 12 Jahren und wurde ein guter Pianist. Mit 14 Jahren begann er ein Jungstudium an der Hochschule in den Fächern Gesang und Komposition.

  • Wie kam es zur Karriere als Dirigent?
Marcus Merkel / Foto @privat

Schon 2006, also mit gerade einmal 15, gab jemand, der ihn Klavier spielen hörte, den Rat, dirigieren zu studieren. Marcus nahm das nicht recht ernst, wusste aber auch nicht, was er damit anfangen sollte. Er nahm mit noch höherer Intensität Klavierunterricht. Dann hörte ihn aber der Vater eines guten Freundes, ein Konzertmeister beim Konzerthaus Berlin, und bekräftigte die Empfehlung, das Dirigieren zu lernen, denn er war von seinen holistischen, breiten Harmonien angetan. Dazu sagt Marcus, dass er immer schon ein Gefühl für den orchestralen Klang am Klavier gehabt habe. Also begann er mit 16 Jahren Dirigierunterricht zu nehmen, nachdem er das Abitur aufgrund außergewöhnlicher Leistungen bereits mit diesem Alter als sogenannter Schnellläufer absolvieren konnte. Sein Gesangs- und Kompositionsstudium war aber immer nebenher gelaufen. Heinz Schunk, pensionierter Konzertmeister vom Konzerthaus am Gendarmenmarkt und vorher bei der Berliner Staatskapelle zur Zeit von Maestro Otmar Suitner, beriet ihn ab 2007 im Dirigieren. Ihm folgte als Lehrer Peter Aderhold, der eine lange Kapellmeisterlaufbahn durchlief und heute als Komponist arbeitet. 2011-15 studierte Marcus an der Berliner Universität der Künste Dirigieren und kam dort zu Prof. Lutz Köhler, von dem er viel gelernt hat. Während des Studiums dirigierte Marcus Merkel auch Chöre.

  • Und wie kam es zu Graz?

Dann kam Julien Salemkour, der Marcus im 4. Semester übernahm, als Lutz Köhler in Pension ging. Salemkour wurde wohl entscheidend für die seine weitere Laufbahn. Er betraute ihn sogleich auch mit Theateraufgaben, so zu „Le Sacre du Printemps“. Salemkours Anruf bei Marcus ließ nicht lange auf sich warten: Ob er von ihm eine ganze Produktion übernehmen und dirigieren wolle? Es war eine aufwendige Produktion in Rostock für die Hochschule für Musik & Theater. Der vorgesehene Dirigent Salemkour hatte aufgrund einer Doppelbuchung wenig Zeit, und Marcus übernahm die Produktion 2014 ohne jede Opernerfahrung! Salemkour war zu jener Zeit in Graz und fragte an, wie es in Rostock liefe. Die nächste Frage: „Würdest Du gern in Graz arbeiten?“ Marcus hatte da noch ein Semester in Berlin zu absolvieren. Aber er könne ja in dem Semesterferien kommen und eine bis zwei Produktionen betreuen. Er sagte zu, und es begann erstmal mit Korrepetition. Zur Saison 2015/16 bekam Marcus Merkel einen Zweijahresvertrag für Korrepetition mit Dirigierverpflichtung. Die erste Vorstellung wurde „Der Barbier von Sevilla“ und dann Operette und Musical – immer als 2. Mann.

  • Wie wurde es international?

Dann kam zum großen Glück die Nederlandse Reisopera auf ihn zu. Antonino Fogliani ermöglichte ihm 2016 sein erstes Gastdirigat in Amsterdam im Theater Carré für zwei Vorstellungen mit „Ariadne auf Naxos“, die Realisierung einer seiner großen Träume. „Damit war der Start ins business geschafft“. Und in Graz kam nun auch zum ersten Mal eine eigene Premiere, und zwar von „Kiss me Kate“. Es folgte eine Wiederaufnahme von „Der Barbier von Sevilla“ und die zweite Premiere mit der „Fledermaus“, sowie eine eigene konzertante Einstudierung von „Candide“. Er hatte auch schon „Fidelio“ mit dem Berliner Expat Philharmonic Orchestra in Rostock gemacht. Nun dirigierte er in Graz auch noch „Don Carlo“ als 2. Mann, und Stücke wie „Lucia“, „Tosca“ und die „Königskinder“. 2018 dirigierte er ein „Verdi-Requiem“ im Berliner Dom mit der Norddeutschen Philharmonie.

  • Weiter in Graz
Marcus Merkel/ Foto @ Photowerk Werner Kmetitsch

Einen der Gründe, warum die Oper Graz ihm mittlerweile recht anspruchsvolle Aufgaben überträgt, sieht Marcus Merkel darin, dass er immer wieder für Kollegen und die Chefdirigentin kurzfristig eingesprungen ist. Im Jahre 2017 sollte er am Abend die ihm noch unbekannte Puccini-Oper „La Rondine“ dirigieren. Das erfuhr er um neun Uhr morgens. Mit Hilfe des Musikassistenten, der Sänger und des Orchesters gelang das Unternehmen. Im Februar 2018 durfte er in Graz für ein großes Symphonieprogramm einspringen, u.a. mit der Scheherazade von Rimsky-Korsakov und Chopins Zweitem Klavierkonzert. Er betont, dass die Kooperation mit der Chefdirigentin Lyniv sehr gut gewesen sei und man sich bestens über die jeweilige Aufgabenteilung abgesprochen habe. Seit fast drei Jahren ist Marcus nun Kapellmeister ohne Rangordnung. Mittlerweile hat er in Graz 30 Stücke dirigiert und immer wieder auch Einladungen für externe Engagements bekommen.

  • Seine Meinung zu Richard Wagner

Zum Bayreuther Meister hat er „große Sehnsüchte“. „Lustigerweise“ ist Marcus der Auffassung, im deutschen Fach zu Hause zu sein. Bisweilen fühlt er sich „wie mit ihm verheiratet“, obwohl er gerade auf Gastspielen auch viel italienisches Fach dirigiert. 2017 hat er in Graz den „Zwerg“ von Zemlinski dirigiert, später die „Königskinder“ von Humperdinck, und vor einigen Jahren auch bei einer „Tristan“-Produktion von Verena Stoiber assistiert. Natürlich möchte er gern Wagner dirigieren, auch Richard Strauss, halt das ganze deutsche Fach. „Ariadne auf Naxos“ hat er ja schon gemacht. „Tristan und Isolde“ kann er schon fast auswendig. Marcus beweist es umgehend, indem er mal eben auf meine Bitte auf meinem bescheidenen Klavier das Vorspiel zum 1. Aufzug spielt…

  • Wie war seine Erfahrung mit dem halbkonzertanten „Fidelio“ in den Grazer Kasematten und dem Weltstar Sir Bryn Terfel bei seinem Debut als Pizarro?
Marcus Merkel, Bryn Terfel @Photowerk Werner Kmetitsch

Als ihm klar wurde, dass die Corona-Krise nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen bergen könnte, veranstaltete Marcus im August 2020 mit seinem Verein Junge Konzerte Graz und den Grazer Spielstätten kurzerhand einen „Fidelio“ auf dem Grazer Schloßberg – und konnte dafür sogar den Weltstar Sir Bryn Terfel gewinnen! Die Zusammenarbeit war eine einzige Freude. „Es entstand seit dem ersten persönlichen Treffen ein solch herzliches Verhältnis, das zusätzlich noch durch allergrößten Respekt vor der Arbeit des anderen geprägt war“. Dass es sich beim Grazer „Fidelio“ zudem noch um Terfels Rollendebut als Pizarro handelte, war ein besonderes Glück – „was für eine Ehre, das dirigieren zu dürfen“. Sir Bryn war dankbar für die Chance, eine Rolle ausprobieren zu können, die er bestimmt „noch die nächsten 20 Jahre singen kann“ (Zitat Terfel). Nachdem das Debut als Veranstalter und Dirigent in Personalunion sowohl in künstlerischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht so überaus erfolgreich über die Bühne ging, überlegt Marcus nun schon, welche Produktionen man in den nächsten Jahren auf die Beine stellen könnte.

  • Weitere Pläne und Projekte

Die kommende Saison hat Marcus in Graz den „Don Giovanni“, „Le Nozze di Figaro“, Henzes „Undine“ sowie die „Großherzogin von Gerolstein“ (Offenbach) unter eigener Verantwortung, und wird Vorstellungen von „Madama Butterfly“ und „Anatevka“ übernehmen. Ein Ausflug mit John Adams‘ „Nixon in China“ führt ihn im Frühjahr 2021 an das Theater Koblenz, sofern Corona es hoffentlich zulässt. Mit seiner Jungen Philharmonie Berlin hat er eine Fernsehaufzeichnung von „Karneval der Tiere“ für ARTE in Produktion, mit den Jungen Konzerten Graz plant er Konzerte für Kinder sowie ein Verdi-Requiem im Frühjahr 2021 in Graz.

Ich glaube fest daran, dass Marcus Merkel ein ganz großes Talent am europäischen Dirigenten-Himmel ist und sehr weit kommen wird. Wir wünschen ihm für sein sicher interessantes und anspruchsvolles weiteres Schaffen viel Erfolg.         

 

 

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