
Central Park New York – hier geht Christopher Alden ausgiebig spazieren, wenn er Ideen für seine nächste Produktion entwickelt. Mitten in Manhattan, in Chelsea, gleich um die Ecke vom Empire State Building, wohnt er. Wenn er nicht gerade an Produktionen rund um den Globus arbeitet. Jetzt also in Bonn, wo er mit dem Ensemble und dem Beethoven Orchester Bonn Die Sache Makropulos von Leoš Janáček einstudiert.
Am 7. April 2019, also in einer Woche, feiert diese wohl ungewöhnlichste Oper des tschechischen Komponisten Premiere. Seine Repertoire-Opern Jenufa, Katia Kabanova und Das schlaue Füchslein stehen durchaus öfter auf dem Spielplan großer Häuser. Die Inszenierung, eine Koproduktion mit der English National Opera, hat bereits einige Jahre erfolgreicher Bühnenpräsenz hinter sich und war sowohl in London als auch in Prag ein absoluter Publikumserfolg. Was fordert einen so renommierten Regisseur dann immer wieder aufs Neue heraus? Wie kam er überhaupt zu diesem Beruf und dieser Leidenschaft? Folgen wir dem Thema von Makropulos und unternehmen gemeinsam einen time lapse ins New York der 50-er und 60-er Jahre.
Christopher und David Alden kommen zur Welt, eineiige Zwillinge, geradewegs off Broadway. „There’s no business like show business“ haben beide pränatal inhaliert. Der Vater war Dramatiker und schrieb leichte Bühnenstücke, die Mutter Tänzerin in der ersten Inszenierung von Annie Get Your Gun. Die Bohème als Lebensraum – und das trug Früchte. Bis zum Alter von 17 lernte Christopher ein bisschen Geige spielen und hatte seine „Erweckung“, als der Musiklehrer drei Stücke präsentierte: die Krönungsszene aus Boris Gudonov, das Terzett aus dem letzten Akt des Rosenkavalier und das erste Zwischenspiel im zweiten Akt von Peter Grimes. Wow – das zündete bei beiden Brüdern gleichermaßen.
Allerdings assoziiere ich mit meinem sprudelnd-jugendlichen Gegenüber beim Lunch eher eine potenzielle Karriere als Rockstar. Being young in New York in the sixties! Da erwische ich Christopher off guard, ohne Deckung. Stimmt, er hat in einem Rock-Musical mitgespielt: The Two Gentlemen of Verona nach einer Shakespeare Komödie, das 1971 auf die Bühne kam und dem Hair-Komponisten Galt MacDermot einen Tony Award einbrachte. Yes, those were the days. Einen Universitätsabschluss legte Christopher Alden in English Literature ab – wie ich! Eindeutig identifizierte er bei mir einen südenglischen Akzent (den ich mir an der University of Sussex aneignete) und schob ein Kompliment hinterher. Na, dann hat sich ja nach über 40 Jahren das Auslandsstudium immer noch gelohnt!
Tatsächlich verbindet uns aber weiteres und … mehr als das gleiche trendy Brillenmodell. Meine erste Oper was Tosca – vor über 50 Jahren. „Excellent! The perfect piece to get enthusiastic about opera!“ Was für ihn nach all‘ den Jahren den Reiz der Opernregie ausmacht: dem Drama, dem Stück im Wechselspiel mit der Musik eine weitere Dimension hinzufügen, Tiefe und Empfindung, die mit Sprache allein schwerlich zu erreichen wäre. Er liebt moderne Inszenierungen und hat sich in Bonn sofort Liliom angesehen: laut, mit Rockmusikfetzen, wild, mit visuellen Stimuli, die das traditionelle Publikum vor den Kopf stoßen oder ratlos zurücklassen – ganz nach Castorf Manier.
Er selbst inszeniert – auf jeden Fall Makropulos – eher ästhetisch und versöhnlich, bevorzugt eine klare Bildersprache. Wer ihn bei den Proben beobachtet, ist von seiner Akribie beeindruckt. Ein Stuhl wird um 15 Grad zum Publikum gedreht, die Statisten leitet er an, in einer exakten Linie für das Tableau zu verharren. Neigt er zum Perfektionismus? „I am mellowing with age, taking it a bit more easy over the last years.“, beschwichtigt er. Eher sei er von einer Idee besessen, die er dann auch genau umgesetzt sehen will. Wir einigen uns auf die Formel „Perfect preparation prevents pathetic performance“ (Eine perfekte Vorbereitung vereitelt eine jämmerliche Vorstellung.)
Wie äußert sich dies im Verhältnis zu seinem Bruder David, ebenfalls ein sehr erfolgreicher Opernregisseur, und seinem Ehemann Peter McClintock, auch Regisseur? Gibt es da Rivalitäten? „Hellooooo? Do we experience competetion?“ Zugegeben, meine Frage war gleichermaßen naiv wie provokant. Es grenzt doch ohnehin an ein Wunder, dass zwei Brüder mit der hundertprozentig übereinstimmenden DNA beide so erfolgreich im music business sind, oder? Noch heute fühlen sie sich einander so nah, dass sie nachts miteinander telefonieren und denselben Gedanken gemeinsam weiterspinnen können. Aber gegenseitiges Coaching in Sachen Inszenierung gibt es nicht. Da macht jeder sein Ding.
Zurück zum Werdegang. Das Show-Biz war angelegt, die Rockmusik aber auf Dauer nicht das Maß der Dinge. Schon früh waren die Alden brothers im Netzwerk der New Yorker Kulturszene unterwegs. Erste Regieassistenz in Houston, Paris und Salzburg und schließlich die erste eigene Produktion, Rossinis Graf Ory an der New York City Opera im Jahr 1979. Christopher Alden liebt Barockopern, hat Monteverdis Krönung der Poppea, L’Orfeo, Il ritorno d’Ulisse in patria, Händels Imeneo inszeniert. Seiner Initiationsliebe zu Benjamin Britten blieb er mit Death in Venice treu, seinem freiheitlichen Gestaltungswillen kommen Uraufführungen sehr entgegen. Für David Horne’s Friend of the People und Anthony Davis‘ Tania inszenierte er die Welturaufführungen, außerdem die Amerika-Premiere von Glucks L’Ile de Merlin im Jahr 2007. Mit David Parry ist er gut befreundet, für Jonathan Dove hat er bei dessen reduzierte Form der Wagner-Opern Das Rheingold und Die Walküre Regie geführt. Namen, die auch in Bonn seit Marx in London gut klingen.
Vielbeschäftigt und stark nachgefragt ist Christopher Alden nach wie vor. Aber er plant, langsam ein bisschen weniger Engagements anzunehmen. Drei bis fünf Produktionen hält er für gut machbar, zehn, wie oft in den vergangenen Jahren, für zu hektisch. Er berichtet von der Eighties-Rule in New York, einer sehr praktischen Kalkulation. Sobald die Lebensjahre eines Regisseurs addiert zur Anzahl der Jahre der Mitarbeiterschaft an einem Haus 80 ergeben, hat er Anspruch auf die volle Rente oder Pension. Aber – Menschen wie er gehen wirklich nie so ganz. Das empfindet er auch so wunderbar an der künstlerischen Arbeit: Man kann praktisch so lange arbeiten, wie die Gesundheit es erlaubt und wie die Ideen sprudeln.

Als nächstes steht die Oper Drei Schwestern des ungarischen Komponisten Péter Eötvös auf Christophers Regieprogramm. Anton Tschechows gleichnamiges Drama bildet die Grundlage; Ort ist die Staatsoper in Jekaterinburg östlich des Urals, zwei Flugstunden von Moskau entfernt. Und noch weiter im Landesinneren als Perm, wo Teodor Currentzis gerade Operngeschichte schreibt. Ein Abenteuer, auch für einen weitgereisten Kosmopoliten.
Vieles in seinem Business geht über Networken. Dirigenten und Regisseure machen gute Erfahrungen miteinander, empfehlen einen weiter, kennen die Vorzüge und Faibles für bestimmte Genres und vor allem den Sinn für und die Freude an innovativem Gestalten. „Klassiker“ mit dem eigenen touch versehen, sodass eine individuelle Handschrift entsteht, aber nicht als „Regietheater“ abgewertet wird – so stellt er seinen Anspruch dar. Die Sache Makropulos unter Aldens Regie wurde zuerst 2006 in London unter dem Dirigenten Sir Charles Mackerras aufgeführt, der sich vielleicht mehr Werktreue gewünscht hätte. Er war mäßig begeistert von der Arbeit, obwohl sie sehr eng am Libretto geführt war.
Das berührt den äußerst sensiblen Punkt der Beziehung zwischen Dirigent und Regisseur. „Nowadays we speak of singer-actors and they are torn between two masters.“ Da ist der musikalische Maestro, der für die gesangliche Qualität und die Kongruenz von Orchester und Sänger-Ensemble zuständig ist. Ihm gegenüber – im besten Fall mit ihm gemeinsam – der Regisseur, nach dessen Vorstellungen die Handlung dargestellt wird. Wie läuft es hier in Bonn? „First I was suprised to see that they trusted Hermes Helfricht, at his really young age, with this demanding piece.“ Aber während der Proben nun schwärmt er von Helfrichts Musikalität, von seinem Einfühlungsvermögen, von dem motivierenden Gesprächsduktus mit allen Beteiligten.
Was seine Theaterkollegen immer wieder frappiert: Als Opernregisseur hat er keinen Einfluss auf die Auswahl der Sängerinnen und Sänger. Das wäre am Schauspiel absolutes no-go. Die Sängerin der Hauptrolle findet seine volle Anerkennung. Yannick-Muriel Noah kombiniert in seinen Augen und Ohren „professionalism, sophistication, superb acting and a beautiful voice that covers the part perfectly.“ Als Glücksfall bezeichnet er Ivan Krutikov, den Bariton mit der Partie des Baron Prus. „He’s got a huge voice and an amazing physique, absolutely appropriate for the power-oriented man who subdues the heroine shamelessly.“ Mit Martin Tzonev, dem langjährigen Ensemblemitglied, hat er vor über 20 Jahren an der Opera Zuid in den Niederlanden zusammengearbeitet. Er war vollkommen fasziniert von seinem Auftritt in der Elektra: starker Schauspieler, sehr starker Bass-Bariton. Die Rolle des Dr. Kolenatý, des Advokaten im Stück, erfordert eine irrsinnig rasche Abfolge von slawischen Silben auf demselben Ton. Hals- und zungenbrecherisch, wie geschaffen für diesen Sänger.
Die Zeit – die Zeit läuft auch uns davon, so sehr haben wir uns ins Gespräch vertieft. Die Zeit und wir in ihr – das große philosophische Thema der Oper Die Sache Makropulos. Die Hauptfigur lebt gut über 300 Jahre, hat alles gesehen, alles erlebt und sehnt sich nun nach dem Tod. Diese Diva, der die Männer zu Füßen liegen, büßt ihre unwiderstehliche weibliche Erotik ein. Von da aus brauchen wir nur einen halben Satz bis zum Botox in der Mittagspause und dem beliebten nip&tuck, der überall verfügbaren kosmetischen Chirurgie. Die Oper handelt auch von Würde und Integrität, von der Kälte einer Welt, in der jeder sich konsequent auf seinen Vorteil fokussiert.
Wenn aber aus dem Graben eine so unerhörte Tonsprache ertönt, so unverkennbar Janáček und ebenso einzigartig, wenn diese Musik den Klangteppich bildet für ein dreiaktiges Drama um gleichermaßen Skurriles, Fantastisches, Berechnendes, Grausames, Lächerliches, dann schafft die Produktion eine eigene Gefühlswelt. Das Publikum „versteht“, auch wenn die Kognition nicht den einzigen Schlüssel darstellt. Bonn darf sich auf eine Produktion freuen, die international gefeiert wurde.
Ach ja, das Alter … Wir zwei, beide gut über 60, fühlen uns an diesem herrlichen Frühlingstag auch fröhlich beschwingt. Wir erzählen, lachen, tauschen uns vertrauensvoll aus. Im Nullkommanix freunden wir uns an. Christopher tritt bewusst jugendlich auf in Sneaker und Hoodie. Er liebt die Arbeit am Theater, weil er dort eben auf viele wirklich Menschen trifft, die jung an Jahren und nicht wie wir nur „young at heart“ sind. Wir begeistern uns gemeinsam im Rückblick über die Kölner Rusalka, schauen uns an und gestehen: Uns beide hat das Stück so berührt, dass wir am Ende Tränen vergossen haben. Und das ist doch eine großartige Gemeinsamkeit!
Für die Premiere am 7. April 2019 gibt es Karten hier.
- Künstlerportrait von Mechthild Tillmann / liveinderOper
- Titelfoto: Christopher Alden / Foto @ Mechthild Tillmann