Totale Digitalisierung und ihre Grenzen…
Nun hat er also endlich begonnen, der schon für 2020 angekündigte neue „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner, ein Projekt der OPERA AUSTRALIA in der Inszenierung des Chinesen Chen Shi-Zheng am Lyric Theatre des Queensland Performing Arts Center im ostaustralischen Brisbane an der Pazifikküste. Wegen der Covid 19-Pandemie wurde die Neuinszenierung von Jahr zu Jahr verschoben, sodass man sie erst in diesem Jahr spielt, und zwar im Dezember gleich drei komplette Zyklen. Und als wollte Petrus noch im letzten Moment einen Strich durch die Rechnung der aus allen großen Städten Australiens angereisten Wagner-Freunde machen, denn auch hier gibt es viele, offensichtlich vor allem ältere, ließ er knapp eine Stunde vor Beginn des „Rheingold“ ein Gewitter mit Blitz, Donner und Starkregen über der Stadt niedergehen. Im Nu waren alle Taxis weg! Ich konnte mich wie 2011 in Shanghai (damals mit einem netterweise daherkommenden Mofa) nur noch mit einem privaten Autofahrer einigen, der an der Ampel stand, Erbarmen für mein Ansinnen und Leiden nach 35 Stunden Anreise und jet lag hatte und mich also hinbrachte, obwohl es in seine Gegenrichtung ging. Sonst hätte ich „Das Rheingold“ glatt verpasst. Die „Aussis“ sind wirklich sehr nett und gastfreundlich. Oh mein Gott, welcher Stress!
Chen Shi-Zheng, der in Shanghai und New York City lebt, wollte das Publikum mit dem ersten total digitalen „Ring“-Zyklus überraschen, mit 24 massiven, sieben Meter hohen LED Paneelen, die mit einem automatischen System choreografiert werden und dabei Räume öffnen und schließen, hin- und herfliegen, sowie ein digital gesteuertes Lichtsystem (Matthew Marshall) offenbaren. Opera Australia, und wir lassen es hier mal beim O-Ton, schreibt dazu: „This production will use the latest in video content creation techniques, audio-visual and lighting equipment to create an immersive awe-inspiring world, closer to ‘The Lord of the Rings’ films than a traditional theatre production”. Shi-Zheng ist ein erfolgreicher Film-, Theater- und Musikdirektor und ein Experte auf dem Gebiet der Technologie für Opern-Inszenierungen. Zum ersten Mal ist also hier zu erleben, wie chinesische Mythologie, Design und Technologie in eine Opern-Produktion eingewoben werden.
Ein starker Anspruch! Beim Bühnenbild unterstützte ihn Associate Set Designer Maruti Evans. Das sieht in der Tat erstmal bestechend und aufregend aus, wenngleich der Regisseur sich hier auf das klassische story telling konzentriert. So sieht man also im 1. Bild drei Doubles der auf einem marmorartigen Riff singenden Rheintöchter an fast unsichtbaren Seilen mal hoch, mal tief im Rhein schweben, dessen wogende Wellen sich grünlich auf den Screens abbilden. Immer sind aber nur drei auf einmal zu sehen. Richard Wagner hätte 1876 in Bayreuth seine wahre Freude gehabt, als die Damen sich noch auf beengenden Holzkonstruktionen abquälen mussten…
Später färbt sich das Wasser golden, nachdem Alberich bisweilen etwas zu unbedarft seine Überredungskunst an den Mädchen ausgereizt hat und ein Stück Marmor aus dem Riff rupft, das dann auch hell aufglüht. Schadenfroh lachend taumelt er mit seinem Riesenbuckel davon. Ganz wie Wagner es vorschrieb… Die Chef-Götter, also Wotan und Fricka, kommen im 2. Bild im Lotussitz hereingefahren, eine Referenz an die asiatische Kultur, auch immer begleitet von asiatisch knapp, aber schick gekleideten jungen Statisten, die auch die Bühnenaufbauten verschieben und am Ende in einen großen fast hypnotischen Tanz verfallen werden. Man legt aber vor allem Wert auf göttliche Eleganz. Die göttlichen Kostüme bestehen aus modisch geschnittenen weißen Mänteln. Nur für die Rheintöchter, recht bunt britisch gemütlich wie zum Kaffeeklatsch, für Alberich und Mime mit braunen handwerklichen Lederoutfits, sowie für Erda mit meterlang verfilztem Haar hat sich Kostümbildnerin Anita Yavich etwas anderes einfallen lassen.
Es sollte alles perfekt und fast aseptisch aufeinander abgestimmt sein, die Ästhetik der Kostüme, die moderaten Bewegungen und das stets variierende Licht sollten mit den wechselnden Inhalten der Digital Content Designer (so heißt das nun) Leigh Sachwitz und flora&faunavisions, die auch für das Interactive Content Design and Programming zuständig waren, Hand in Hand gehen. Das gelang auch meist recht gut und überzeugend. Die Aufführung geriet damit sehr unterhaltsam wie auch einem Guss. Das hatte alles auch nichts mit dem Regietheater zu tun, wie es gerade beim Symposium „Regietheater in der der Oper – ein Irrweg?“ im Wiener Ehrbar-Saal diskutiert wurde, obwohl der Regisseur auch hier in der Gesamt-Produktion klar im Vordergrund steht. Er bewegt sich jedoch eng am Plot und folgt in großen Teilen sogar Wagners Regieanweisungen, nur mit den völlig von traditioneller Opernregie abweichenden stilistischen Mitteln modernster Digitaltechnik im Theaterbetrieb – eine andere Darstellungsform also, bei der die Werkaussage des Stücks klar erkennbar bleibt und im Prinzip auch im Vordergrund steht. Trotz aller Technik bleibt das Stück mit seinem Gehalt auch für den „Ring-Neuling“ klar erkennbar, und die Aktionen sind auch weitgehend im Zusammenhang mit der Musik nachvollziehbar. Im 3. Bild, Nibelheim, sieht man ein wildes unterirdisches Felsengebirge und allerhand Feuer, mit dem die Nibelungen, deren große Qual unter Alberich plastisch dargestellt wird, das Gold produzieren. Unverständlich bleibt, warum nun ausgerechnet bei der Bildersprache dieser Digitalisierung die Drachenverwandlung Alberichs zum Slapstick gerät, denn einige Statisten tragen lediglich eine leicht bewegliche mittelgroße Schlange vor sich her. Was hätte man da auf den Paneelen alles darstellen können?!
Die Kröte wird zur Unterhaltung des Publikums besonders albern gezeigt. So wird der Fang des Alben kinderleicht. Hier wie an manchen anderen, aber signifikanten Stellen des Abends fehlte es einfach an zupackender Personenregie, an einer auch optisch-dramaturgischen Zuspitzung des Geschehens im Hinblick auf die jeweilige Aktion. Manches plätscherte einfach zu belanglos daher. Im 4. Bild findet die Abzocke Alberichs in gefesselter Form wie gewohnt statt, was aber durch einen großartig gesungenen Fluch von Warwik Fyfe aufgewogen wird. Auch der Erda-Auftritt war in einem so bildbetonten Regiekonzept schon viel intensiver zu erleben. Bei Shi-Zheng öffnet sich lediglich ein Loch in der Bühnenmitte, und die auch nicht durch besonderes Volumen und die wünschenswerte Tiefe auffallende Liane Keegan steigt mit ihrem zigeunerartigen Kostüm und meterlangen Filzhaaren hoch, um ihre Strophe zu singen. Dieser so entscheidende Momente für den Fortgang der Geschichte hätte stärkere Beachtung verdient. Dass nach dem sowohl von Alexander Sefton als dem mit einem überdimensionalen Hammer ausgestatteten Donner und dem schon in die Jahre gekommenen Froh von Dean Bassett wirkungsvoll in Szene gesetzten Gewitterzauber sich zunächst eine Art endloser Steg in eine gelaserte Wolkenlandschaft öffnet, weckt phantasievolle Erwartungen für die finale Optik. Diese werden aber enttäuscht, da nun den Digital Content Designern offenbar die Pferde durchgehen und sie so ziemlich alles zeigen, was sie mit ihren 24 LED-Paneelen auf der Pfanne haben. Hinten zirkuliert eine regenbogenfarben-Rosette und im Vordergrund wandeln sich alle Paneele zu einer riesigen Computer-Festplatte, wie aus dem Tscherniakov-„Ring“ an der Berliner Staatsoper in Erinnerung ist.
Dazu der von Akasia Ruthy Inchaustegui choreografierte finale Tanz der Opera Australia Dancers und der Dancenorth Australia, der durchaus etwas an La Fura dels baus in deren „Ring“ in Valencia erinnerte. Was im Getümmel unterging, war aber der Einzug der Götter nach Walhall! Selbst vom klagenden Gesang der Rheintöchter, die allerdings auch zu weit entfernt aus dem Off sangen, wollte der da schon fast nach Hinten verschwundene Wotan kaum noch, jedenfalls kaum wahrnehmbar, etwas wissen. Hier fehlte jede Dramatik trotz überbordender Aktivität und der dazu inszenierten Farbspiele auf der Bühne. Und damit zeigte sich auch die dramaturgische Anfälligkeit des Konzepts völliger Digitalisierung des Bühnengeschehens. Oder war es hier erstmal nur die Verliebtheit des leading teams in sein technisches Konzept im Sinne des immer wieder zu beobachtenden „they geht carried away“ angesichts der Überzeugung der Qualität ihrer Ideen?! Sängerisch stand es jedenfalls weitgehend gut bis sehr gut um dieses „Rheingold“. Die drei Rheintöchter Lorina Gore als Woglinde, Jane Ede als Wellgunde und Dominica Matthews als Flosshilde beginnen mit nicht allzu großen, aber sehr kantablen und Alberich geschickt einschmeichelnden Stimmen. Ihre Doubles schwingen sich äußert spannend durch die Lüfte/das Wasser.
Warwik Fyfe bringt für den Alberich einen klangvollen, sängerisch betonten Alberich bei hervorragender Diktion mit, wirkt aber als Person zu banal aufgrund einer zu oft lächerlich wirkenden Aktion – von der Regie so gewollt, oder deren Unverständnis der Figur? Sein Bruder Mime ist der in dieser kurzen Rolle und auch hier wieder bewährte Andreas Conrad. Daniel Sumegi, der 2012 beim Colón-„Ring“ in Buenos Aires Hagen und Fasolt war, ist nun der Wotan und überzeugt bei einem stattlichen Auftritt mit seinem kraftvoll-prägnanten Bassbariton und sehr guter Mimik sowie beim Handling des Speeres – denn hier gibt es einen, einen silber glänzenden. Allein, Sumegis Timbre wird immer wieder von einer gaumig-kehligen Tonbildung getrübt. Das war schon damals in Argentinien so. Seine Göttergattin Fricka hingegen, die bewährte Deborah Humble, lässt mit ihrem ausdrucksvollen und wortdeutlichen Mezzo und schauspielerisch keine Wünsche offen. Mariana Hong singt als Freia tadellos und entspricht der Figur auch optisch sehr gut. David Parkin ist eine vokale Überraschung als Fasolt, den er mit viel Ausdruck und einem sehr gut geführten Bass wortdeutlich interpretiert. Er wird von seinem Buder, beide mit Irokesen-Haarschnitt, meuchlings von hinten mit dem Messer erstochen und sinkt auf den Säcken mit dem Gold nieder – ein ausdrucksstarker Moment! Andrea Silvestrelli kann als Fafner hingegen ganz und gar nicht den stimmlichen Ansprüchen der Rolle gerecht werden.
Bleibt der Loge von Hubert Francis, und der wird hier bewusst als letzter genannt. Denn er ist der einzige unter allen, dem eine intensive, mimisch authentische und – was die Bewegung betrifft – Darstellung seiner Rolle gewährt wurde, oder hat er sie selbst einfach so dargestellt?! Immer wenn Francis in Aktion war, gab es direkten Bezug auf die jeweils angesprochene Problematik und was sie für die Figuren zu bedeuten hatte. Ein sehr starker und überzeugender Loge, zudem mit einem geschmeidigen Tenor ausgestattet – auch im weißen Mantel.
Der mit weit von Europa entfernten „Ring“-Dirigaten vertraute Philippe Auguin – er dirigierte auch den ersten „Ring“ in China, vor einigen Jahren eine deutsche Produktion in Beijing im Hotel Poly Plaza – wusste die weitgehend noch relativ Wagner-unkundigen Sänger gut durch das Stück zu führen und sie vom Graben her niemals akustisch zu überfordern. Er wählte eher ruhige, viel seltener dramatische Tempi, als man es aus Europa gewohnt ist. Das Queensland Symphony Orchestra folgte ihm willig und beherzt. Die etwas über 80 Musiker im Graben wurden um einige aus Europa ergänzt in Wagner-spezifischen Bereichen. Allzu weit weg und unscheinbar klangen dann aber doch die Ambosse in der Verwandlung zum 3. Bild und dann zum 4. Bild, und die eine oder andere Stelle hätte mehr Intensität vertragen. Aber das kann ja nach kommen. Es war ja erst der Vorabend. Das so komplexe Vorspiel gelang jedenfalls bestens mit einem zunächst äußerst filigran entstehenden Raunen aus den Celli und später in den anderen Streichinstrumenten. Dabei war zunächst ein interessantes Wortspiel auf dem noch geschlossenen Vorhang zu sehen.
Der Titel „Ring des Nibelungen“ wanderte in vielen Sprachen wie Regen von oben nach unten über den Vorgang und ging bei dessen Hebung tatsächlich in eine Art Regen auf des Rheines Grund über. Eine großartige Idee der Internationalisierung! Es gab am Ende spontan lang anhaltenden intensiven Applaus des offenbar dankbaren Publikums. Es wird nun spannend zu sehen, wie sich das bei der „Walküre“ weiterentwickelt, wenn es um echte Menschen mit ihren Gefühlen und Nöten geht. Morgen geht dieser „Ring“ in Down Under weiter. Spiel- und spielfreie Tage im Wechsel über die ganze Tetralogie zum Luftholen und Durchatmen – ein interessantes Zeitkonzept für den „Ring“!
- Gastrezension von Dr. Klaus Billand aus Brisbane/Queensland für DAS OPERNMAGAZIN
- Opera Australia Brisbane / Stückeseite
- Titelfoto: Opera Brisbane/DAS RHEINGOLD/Foto @ Wallis Media / Opera Australia