Nachtblau und viel Komfort – neue Sessel in der Oper
Die gute Nachricht vorweg! Niemand wird das Quietschen und Knarren der alten braunen Sessel vermissen. Niemand sich zurücksehnen nach der Stange im Rücken und der wegrutschenden Lehne. Aber alle werden jubeln, wenn sie ab jetzt die herrlichen Aufführungen und die großartigen Konzerte in der Oper Bonn entspannt genießen. Das klingt euphorisch? (Artikelübernahme von LiveinderOper)
Ja, weil eine konzertierte Aktion – nun, nicht über Nacht – aber immerhin in Rekordzeit der Oper im Parkett, Hochparkett und auf dem 1. Rang neue Sessel beschert hat. 1024 Gästen bietet die Oper Platz, davon 140 im 2. Rang. Der wurde erst 1992 nachträglich eingebaut und so haben diese Stühle erst 27 Jahre nicht auf dem Buckel, sondern auf der Sitzfläche. Sie bleiben zunächst, stehen aber auf der Wunschliste für die zukünftige Modernisierung des Hauses.
Und dann der Coup! Dem ging die Einsicht voraus, es sei unmöglich, Staatsgäste, die im Beethovenjahr Bonn bei großen kulturellen Ereignissen beehren, auf diesen ausgeleierten und abgenutzten Stühlen zu platzieren. Drei Dinge benötigte die Oper: Geld, Partner, und einen Polstereibetrieb, der sehr kurzfristig einen so großen Auftrag übernahm. Et voilà – alles wurde Wirklichkeit. Generalintendant Bernhard Helmich brauchte nicht lange, um Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan vom Sinn und der Dringlichkeit des Projekts zu überzeugen. Der wiederum zauberte innerhalb kürzester Zeit zwei private Sponsoren aus dem Hut und gewann die Sparkasse KölnBonn als Partnerin. Große Herzen für Bonn und deren Schatullen öffneten sich. Insgesamt kamen mehr als 300.000 EUR zusammen – die Oper konnte und durfte keinen Cent aus dem eigenen Budget hinzufügen. Alles musste vergaberechtlich abgesichert werden und … der Auftrag ging an einen Spezialbetrieb in Kaiserslautern.
In der vorhandenen Konstruktion erhielten die Sessel ein völlig neues Innenleben, leicht erhöht aufgepolstert und gleichermaßen in der „Topographie des Hauses“ wie auch in seiner Tradition verortet. Nachtblau wie die ersten Stoffbezüge von 1965. Die Verantwortlichen sahen ihre Erwartungen weit übertroffen – sowohl in Hinblick auf Ästhetik als auch Komfort. Nachhaltig sei diese Investition und entwickle die Historie des Ortes zukunftsweisend weiter. Niemand zweifelt daran, dass die Bonner ihre Oper nun noch lieber aufsuchen und sich beschwingt niederlassen. Vorbildliche public private partnership, die Kultur schnell und effizient fördert.
Infinito Nero – Das unendliche Schwarz
Wer allerdings die erste Opernpremiere der neuen Spielzeit besucht, kommt nicht in den Genuss des Komforts in Blau, sondern den der intimen Atmosphäre der Werkstatt. Wo im vorigen Jahr Der Kaiser von Atlantis einen ebenso fulminanten wir eindringlichen Erfolg feierte, kommt nun Infinito Nero als Ein-Personen-Stück in Bonn zum ersten Mal auf die Bühne. Seit Jahren findet sich aber diese Oper des zeitgenössischen Komponisten Salvatore Sciarrino immer wieder auf den Spielplänen deutscher Bühnen.
Worum geht’s? Sciarrino selbst beschreibt seine Protagonistin Maria Magdalena de‘ Pazzi als einen diabolischen Charakter, die das Böse mit dem Göttlichen in sich vereint. Er traf bei der Lektüre der „Words of Ectasy“ auf diese Figur. Sie war eine karmelitische Nonne, stets von acht Novizinnen umgeben. Ihr mystischen Visionen schleuderte sie in einem wahnwitzigen Tempo in oft unverständlichen Worten hinaus. Vier Novizinnen wiederholten sie, vier versuchten, sie aufzuschreiben. Ein Wortfluss im Sinne von wirklich schnell fließendem Wasser entstand, unterbrochen durch signifikante Leerstellen.
Dazu der Komponist: „Silence is not empty; it is merely the birth of sound.“ Seiner Ansicht nach ist Stille ein wesentliches Element der Musik. Sie ermöglicht, dass Musik uns durchdringt und uns in tiefstem Selbst erreicht.
Er wünscht sich die Bühne fraktioniert, aufgeteilt in Schwarz und Weiß, das ganze Werk ist auf diesem Muster aufgebaut und könnte deshalb auch Infinito Bianco heißen. Auch zwei Darstellerinnen seien denkbar …*
Am 26. September 2019 um 20:00 Uhr erlebt das Publikum die ausdrucksstarke Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser in der Titelrolle. Wieviel Kraft sie in eine so dialektisch-diskursiv angelegte Figur legt, hat sie als Penthesilea vor zwei Jahren überzeugend dargestellt.
Es ist die zweite „kleine“ Inszenierung, die die Oper Bonn in der Werkstatt spielt. Leider auch diesmal nur zwei weitere Termine. Da heißt es, ganz schnell Karten kaufen, um die Kaiser ein weiteres Mal brillieren zu sehen.
Karten gibt es hier.
*Zitiert und wiedergegeben nach einem Interview mit dem Komponisten anlässlich des Agora Festivals 1999 im Centre Pompidou
Die Hochzeit des Figaro – als Narropera eine Premiere in Deutschland
Erst im Dezember eröffnet das Beethoven-Haus in Bonn wieder – die Ergebnisse umfangreicher Renovierungen bieten sich dann den Besuchern dar. In der Zwischenzeit aber lädt das amphitheatrige Ambiente des Kammermusiksaals zu Konzerten der besonderen Art ein. Auch zu einer Narropera.
Was ist das denn eigentlich? Eine neue Gattung? Hmmm … wenn es sich um eine Narroper handelte, dann vielleicht nur mit den berühmtesten Narren der Opernwelt, Rigoletto und Falstaff? Wohl kaum – man hätte davon gehört. Schauen wir uns das Wort selbst an. Der zweite Teil lässt auf englischen Ursprung schließen.
Als junge Studentin der Anglistik waren narrate, narration und narrator quasi die Schlüsselbegriffe meiner bescheidenen wissenschaftlichen Etüden. Es ging schlicht ums Erzählen. Und darum, wie die ausgebufften Schriftsteller gerade im England des 18. Jahrhunderts eine Erzählerfigur richtiggehend inszenierten. Goethe war begeistert von John Fieldings Tom Jones – einem stilbildenden Mammut- und Meisterwerk, in dem der Erzähler souverän und spielerisch die komplexen Handlungsfäden in der Hand hielt und von süffisant bis moralisch, von philosophisch bis humorvoll das Geschehen kommentiert.
Und heute? Schmückt sich jeder, der über unsere Gesellschaft spricht, mit dem zum Modewort mutierten Begrifft „Narrativ“. Ursprünglich im Begriffsapparat der Soziologie verankert (als wertbildende und zielführende Elemente von erzählter Wirklichkeit), gibt’s heute kaum ’ne Talkrunde– im TV oder privat – ohne „Narrativ“.
Oops, ich hab mich ein bisschen vom Thema entfernt – genau wie der abschweifende Erzähler, der dem Plot mit seinen Deutungen oft erst die richtige Würze gibt. Unser Thema ist die erzählte Oper. Und da klingt natürlich narropera an sich schon viel musikalischer als narrated opera.
Oper als comic strip, Oper als Marionettentheater, Oper als Spielfilm, Oper mit Legofiguren, Oper als Sitcom … all‘ das gibt es bereits. Nun also die erzählte Oper. Wie funktioniert das? Und: Funktioniert das?
Ja, und zwar so. Auftreten eine Violonistin (Floriane Peycelon), eine Sopranistin (Dorothee Jansen) … und der Erzähler am Flügel (Haydn Rawstron). Diesmal nicht als fiktive Gestalt, sondern als echter Mensch, der dem Publikum eine bezaubernde „Märchenstunde für Erwachsene“ beschert. Er nimmt das Publikum behutsam an die Hand und erzählt die Opernhandlung unterhaltsam auch für alle, die weder Italienisch können noch regelmäßig Opern hören.
Die Hochzeit des Figaro steht auf dem Programm und hier dröselt Haydn Rawstron die verworrene Handlung gut verständlich auf. Gottseidank! Denn ganz ehrlich – wer kann schon stolperfrei und stringent die Handlung dieser Mozartoper wiedergeben? Die Sehnsucht der Gräfin Almaviva darstellen, die amourösen Absichten des Grafen erläutern, den verliebten Cherubino unterbringen und den Zorn Figaros in familiären Neuzuordnungen auflösen?
In knapp eineinhalb Stunden werden uns diese Protagonisten zu vertrauten Gefährten, hören wir die schönsten musikalischen Stücke am Klavier und auf der Geige und vergießen mit der Contessa Tränen über ihr verlorenes Liebesglück. Diese wunderbare Arie – wie alle anderen Gesangselemente – bietet Dorothee Jansen dar, dem Bonner Publikum als Gräfin Almaviva und als Donna Anna noch in bester Erinnerung.
In England und New Zealand nahm das Publikum diese beliebte Oper im neuen Genre begeistert auf. In Bonn spielt die Narropera nur am 28. September 2019 um 20:00 Uhr im Kammermusiksaal im Beethoven-Haus, einem Ambiente, das für diese kleine Form wie geschaffen scheint.
Wir alle dürfen gespannt sein, was uns der Figaro mit der erzählten Zeit eines „verrückten Tages“ durch die Interpretation dieses Künstlertrios an neuen Facetten dieses Opernhits zu Ohren bringt.