AUS EINEM ANDEREN BLICKWINKEL: DIE „GÖTTERDÄMMERUNG“ AN DER STAATSOPER BERLIN

Staatsoper Berlin /Götterdämmerung (2013) / Foto @ Monika Rittershaus

Fürchtest du nicht das wild wütende Weib?“ fragt Brünnhilde den jugendlich, furchtlosen Helden Siegfried, der auf dem Felsen liegend die Walküre aus dem Schlaf erweckt. Iréne Theorin in der Rolle der „Brünnhilde“ lässt sich am besten mit diesen Worten beschreiben. Die skandinavisch-hochdramatische Sopranistin verkörpert die Wotanstochter impulsiv und leidenschaftlich auf den Bühnen aller großen Opernhäuser weltweit. Rein quantitativ dürfte gegenwärtig keine andere Sopranistin häufiger in Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ aufgetreten sein, als Iréne Theorin. Auch sämtliche Zyklen der Inszenierung des belgischen Videokünstlers Guy Cassiers – gleichsam ob im „Teatro alla Scala“ in Mailand, im Schillertheater in Berlin oder nun erstmalig „Unter den Linden“ – definieren sich durch Iréne Theorins Darstellung der Kriegerin. Mit der „Götterdämmerung“ am 29. September schloss sich nun endgültig nach zehn Jahren der Vorhang für diese Produktion. Bevor 2021 mit dem russischen Regisseur Dmitri Tcherniakov der nächste Barenboim-Ring an der Staatsoper Berlin entstehen wird, lassen wir die Arbeit von Guy Cassiers noch einmal Revue passieren.

 

Die Regie von Guy Cassiers löst sich am vierten und letzten Abend des Zyklus mit der „Götterdämmerung“ vollends von Wagners Vorstellungen und bleibt mit abstrakt abgeleiteten Andeutungen stets unkonkret und undefiniert. Weder Zeit noch Raum sind deutlich verankert. Die märchenhafte Ausstattung am Beginn des Zyklus im Rheingold, man erinnert sich an so manch ausgeschmücktes Kostüm von Fricka und Freia, ist in Zeiten der Götterdämmerung nun vollkommen verblasst. Die durchweg unsympathische Sippschaft der Gibichungen mit ihren suspekten Charakteren Gunther, Hagen und Gutrune scheint sich lediglich an niederen Instinkten zu orientieren. Sie repräsentieren eine technisch-unpersönliche Gesellschaft, die sich für Experimente an Lebewesen und Menschen hergeben. Die Requisiten bestehen aus in Formaldehyd eingelegte Körperteile. Für einer derart krankhaft-entrückte Gemeinschaft wird es kein erfülltes Leben weder in der Gegenwart, noch in der Zukunft zu geben, so dass eine Götterdämmerung mit Neuordnung der Machtverhältnisse angesichts der Morde und Intrigen unausweichlich zu werden scheint.

Staatsoper Berlin /Götterdämmerung (2013) / Foto @ Monika Rittershaus

Die Brünnhilde in der „Götterdämmerung“ war die umfangreichste Rolle für Iréne Theorin. Während sie in der „Walküre“ lediglich ab dem zweiten Akt und im „Siegfried“ nur das Schlussduett zu singen hatte, stand sie in der „Götterdämmerung“ kontinuierlich im Mittelpunkt des Geschehens. Trotz Komplexität und Anspruch an die Partie, schien ihr gerade diese disharmonisch-schrille Rhythmik der Götterdämmerungs-Brünnhilde am besten zu liegen. Ihre Brünnhilde erklang mit einer Leidenschaft, die ihresgleichen suchte. Ihr erster Auftritt mit „Hojotojo“ hat geradezu geknallt! Hat man es jemals energiegeladener und freier gehört? Iréne Theorins hohe, feste, voluminöse Stimme geriet geradezu zum Ideal einer „skandinavischen Wagnersopranistin“. Um den Stimmfluss nicht zu unterbrechen, betonte Theorin praktisch keinerlei Konsonanten und unterließ jeglichen Versuch einer Deklamation des Textes. Obgleich solch eine undeutliche Aussprache manch strengen Wagnerianer zum Naserümpfen verleitet, mag man es gerade Theorin verzeihen, so sehr fesselte sie mit ihrem markerschütternden Stimmorgan.

Staatsoper Berlin /Götterdämmerung (2013) / Foto @ Monika Rittershaus

Die anspruchsvollen Hauptrollen wurden über mehrere Abende konstant mit Andreas Schager, Michael Volle, Jochen Schmeckenbecher und Iréne Theorin besetzt. Ekaterina Gubanova kehrte nach ihrer Fricka in der Götterdämmerung zurück als Waltraute – einer Partie, die sie mit Stolz und Würde ausfüllte. Falk Struckmann – der wohl schwärzeste Bass seit Gottlob Frick – stand als furchteinflößender Hunding, Hagen und Fafner gleich an allen vier Abenden auf der Bühne. Simon O’Neill durfte am Vortag zu seinem Siegmunds schon die kleine Rolle des Froh im Rheingold übernehmen. Anna Samuil sang zuerst eine lautmalerische Freie im Rheingold um anschließend eine naive Gutrune in der Götterdämmerung darzustellen. Auch der Charaktertenor Stephan Rügamer kehrte nach seiner überragenden Darstellung in der Rolle des Loge einige Tage als Mime wieder zurück in den Zyklus. Diese Vertrautheit mit den Rollen und im Ensemble untereinander ließ die Solisten zu neuen Höchstleistungen zusammenwachsen.

Abschließend gilt es den verharrenden Kritiken zur damaligen Premiere des Ring-Zyklus von Guy Cassier entgegenzuhalten „so schlimm war es ja doch nicht“. Die Produktion bot Platz für eine persönliche Entfaltung der Sänger, denn endlich konnte sich das Publikum einmal darauf konzentrieren, worauf es wirklich ankommt, auf die Musik! Der Gesang und die herrliche Akustik der wiedereröffneten Staatsoper bereiteten im Zusammenspiel mit Daniel Barenboims langsamer, energiegeladener Lesart am Pult der Berliner Staatskapelle vier beglückende Abende musikalischen Hochgenusses.

 

 

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