Hamburgische Staatsoper FRANKENSTEIN Weltpremiere/Claudia Six, Christian Pfütze/ Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

Staatsoper Hamburg: Jan Dvorak’s Oper Frankenstein – Uraufführung am 20.5.2018

Hamburgische Staatsoper FRANKENSTEIN Weltpremiere/Viktor Rud/ Foto @ Brinkhoff/Mögenburg
Hamburgische Staatsoper
FRANKENSTEIN
Weltpremiere/Viktor Rud/ Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

Das Monster „Einsamkeit“

Umjubelte Uraufführung von Jan Dvoraks Gothic Opera „Frankenstein“ auf „Kampnagel, dem internationalen Zentrum für schönere Künste“.

Frankenstein“, wer denkt da nicht an Horror, mordende Monster, Gänsehaut? Dies alles bieten der Hamburger Komponist Jan Dvorak und der Berliner Film- und Opernregisseur Philipp Stölzl in Dvoraks Oper auf subtile, eher verhaltene Art. Das Werk, das seine Uraufführung exakt 200 Jahre nach dem Erscheinen der Novelle der 19-jährigen Mary Shelley feiert, erweckt in erster Linie andere Gefühle. Berührt eher, als dass es erschauern lässt und bedient doch die Gothicthemen Tod, unerfüllbare Sehnsucht und Vergänglichkeit. Auch scheint das Monster ein Teil von Frankenstein selbst zu sein, das Ergebnis übertriebenen Forscherdursts.


Mit seiner Musik setzt
Dvorak überraschenderweise nicht auf Atonalität oder ungewöhnte Klänge, die die Handlung dominieren und zweitrangig erscheinen lassen, sondern gleich hervorragender Filmmusik begleiten seine Melodien die Handlung, setzen Akzente und bilden mit der Handlung ein Ganzes. Auf der Bühne herrscht Sprechgesang vor, Chöre gibt es nur untermalend aus dem Off. Immer wieder gibt es Stellen die nicht anders als schön zu bezeichnen sind. Alles in allem ist dem jungen Komponisten, der hauptberuflich als Chefdramaturg der Oper am Nationaltheater Mannheim arbeitet, eine wahre Symbiose gelungen: Die Handlung macht sichtbar, was die Musik nicht zeigen kann. Die Musik beschreibt, was nicht zusehen ist, wie zum Beispiel die tickende Uhr in Frankensteins Schlafzimmer, ein Gewitter, oder wie am Ende, als ein Schiff sich seinen Weg durch zurückweichendes Eis bahnt.
Der Zuschauer betrachtet das Geschehen durch eine Art Maschendrahtzaunkäfig. In diesem lassen Stölzl, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, und Bühnenbildnerin
Heike Vollmer die gesamte Welt zwischen einem Wald bei Ingolstadt, Genf, Orkney und dem Nordpool entstehen. Mit wenigen optischen Mitteln und viel, durchaus nicht störender Umbauhandarbeit von Darstellern und „Umbauteam“. Auf moderne Technik wird verzichtet, ebenso wie die Kostüme von Kathi Maurer der Entstehungszeit des Romans angepasst sind. Die Geschichte beginnt mit den ersten Bewusstseinsaugenblicken der Kreatur , die Monster zu nennen mir schwerfällt. Danach nehmen Dvorak und Stölzl uns mit auf die Lebensreise eines Wesens, dass doch einfach nur dem Käfig der Einsamkeit entkommen will und darum Akzeptanz sucht und Zuneigung. Enttäuscht von seinem Schöpfer Viktor Frankenstein lernt es zu hassen und nimmt Frankenstein aus Rache die geliebte Ehefrau Elizabeth. Es folgt eine Jagd, die mit Tod und Selbstzerstörung endet.


Vom ersten Moment, vom ersten musikalischen Herzschlag von Frankensteins Schöpfung an, mit den ersten von
Catrin Striebeck gesungenen Worten von Percy Shelleys Gedicht Veränderung, nimmt es das Publikum für sich ein. Es geht ans Herz, wenn das Wesen die Vögel entdeckt, eine Taube auf sich sitzen lässt und ihren Gesang (Narea Son) imitiert. Später erschrickt man über die Wut und Leidenschaft. Endlich verharrt man kurzfristig in einem Schweigen der Rührung, wenn es am Ende, über die Leiche Viktor Frankensteins gebeugt, sein Leben aushaucht und ihn dabei „Vater“ nennt.


Die Faszination der Kreatur liegt an der Puppe des Figurenspielers und Puppenbauers
Marius Kob: Einem Riesen, der an eine zerfledderte Mumie erinnert und mit seinen tiefblauen Augen jeden Zuschauer, auf dem sie ruhen, wirklich anzusehen scheint. Aber was nützt die schönste Puppe, wird sie nicht durch Spieler zu Leben erweckt? Claudia Six und Zora Fröhlich, die für die Arme der Figur zuständig sind, vor allem aber Christian Pfütze, auf dessen Füßen und Schultern die Last der Puppe buchstäblich ruht und der für die restlichen Bewegungen zuständig ist, leisten Bewunderungswürdiges. Sind sie auch unübersehbar, so gelingt es ihnen doch, zumindest aus den Gedanken und der Wahrnehmung des Publikums zu verschwinden, hinter einem Wesen, das durch Pfütze, Fröhlich und Six ein Eigenleben zu haben scheint. Doch jedes Lebewesen braucht nicht allein in einer Oper eine Stimme, die ihm die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken und allen anderen einen ersten Einblick auf seinen Charakter, seine Wesensart gibt. Frankensteins Schöpfung, unübersehbar männlichen Geschlechts, singt, spricht, lacht und weint mit der Stimme von Schauspielerin Catrin Striebeck. Was auf den ersten Blick ungewöhnlich anmutet, entpuppt sich als genau richtig. Denn so wird aus der Kreatur ein Wesen das mit heller Stimme und hoffendem Herzen die Welt entdecken will, ähnlich einem Kind und nicht das dröhnende Monster, dem von Anfang an der Sinn alleine nach Zerstörung steht. Striebeck, die von einem Podest über Bühne und Orchester spricht – nein spielt, – schafft es mit Emphase, Empathie und Leidenschaft auch die letzten Zweifler zu überzeugen, dass die Puppe ein fühlendes und wie es selber sagt, „beinahe gutes“ Wesen ist.

Hamburgische Staatsoper FRANKENSTEIN Weltpremiere/Viktor Rud, Zora Fröhlich, Christian Pfütze, Claudia Six/ Foto @ Brinkhoff/Mögenburg
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Weltpremiere/Viktor Rud, Zora Fröhlich, Christian Pfütze, Claudia Six/ Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

Doch die Welt, macht es ihm unmöglich, gut zu bleiben. Es gelingt Stölzl durch seine Regie und Personenführung, dass die Darsteller in kurzer Zeit, ihre Wandlungsfähigkeit zeigen, Spannung erzielen Dvorak, Stölzl und der zweite Regisseur Philipp M. Krenn auch dadurch, dass in diesen bedrohlichen Szenen die Darsteller zuerst auf das Wesen zu stürmen, um dann in ihren Bewegungen regelrecht einzufrieren. Womit ein Eindruck von stehengebliebener Zeit erzeugt wird, der schlimmes augenscheinlich unendlich macht. Auch die Musik verweilt dann auf wenigen Tönen. Untermalt. Betont.

Es sind wenige Sänger in zahlreichen Rollen, die dem Wesen zu Leibe rücken, Frankenstein unterstützen, mit ihm seine Hochzeit feiern. So ist da Narea Son unter anderem als Taube und als kecke Dienstmagd bei Frankensteins. Maria Markina als Bäuerin und als Kindermädchen Justine, Alin Anca als Vater Delacay und als Kapitän Walton, Sascha Emanuel Kramer als Frankenseins absolut unsympathischer Bruder Ernst, wie auch als mitfühlender Fischer, Stefan Sevenich als Vater Frankenstein und nicht zuletzt Sergei Ababkin und Shin Yeo in verschiedenen namenlosen Partien.


Die größte Partie und Titelrolle wird dargestellt von dem Bariton Viktor Rud, der sich während der Proben einen Finger brach, operiert wurde und dennoch mit Professionalität und hundertprozentigem Einsatz überzeugte. Glaubhaft stellt er die Zerrissenheit Frankensteins da, seinen an Wahn grenzenden Wissensdurst, seine Verzweiflung. Ab und zu fällt es nicht leicht, jedes Wort zu verstehen, doch tut dies seiner Leistung keinen Abbruch.

Hamburgische Staatsoper FRANKENSTEIN Weltpremiere/Claudia Six, Christian Pfütze/ Foto @ Brinkhoff/Mögenburg
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Weltpremiere/Claudia Six, Christian Pfütze/ Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

Eine Entdeckung, hoffentlich auch für das Haus an der Dammtorstraße, ist Andromahi Raptis als Frankensteins Verlobte Elisabeth Delacey. Sie wird von dem unschuldigen Mädchen, das einen Kinderreim singt, um den guten Geist zu entdecken, der sie und ihren blinden Vater (Alin Anca) mit Feuerholz versorgt zu der Frau, die das einzige Stück singt, das als Arie gelten kann. Nämlich in einer Briefszene, deren melancholische Melodie dann weiterführend wortlos vom „Frankenstein Orchester“ übernommen wird. Ein Orchester, das in kleiner aber klassischer Besetzung spielt, erweitert durch eine E-Gitarre und einen Geräuschmacher, einen Sounddesigner (Thomas Leboeg). Die Leitung hat Johannes Harneit, dem, wie auch seinen Musikern, die Freude daran anzumerken ist an diesem besonderen Projekt mitwirken zu dürfen. Ja, vielleicht hat das Stück hier und da, besonders zum Schluss einige Längen um die gekürzt, es noch eindrucksvoller wäre. Aber ein besonderes Projekt ist diese Oper allemal , die aus dem gleichnamigen Theaterstück entstand, das 2014 in Basel aufgeführt wurde.

Damals wie heute wurde die Begeisterung, durch anerkennende Pfiffe, Schreie, Trampeln und natürlich klassischem Applaus bedacht. Allen voran Catrin Striebeck, schon in Basel Seele und Stimme des Abends. Aber auch alle anderen wurden verdient und gebührend gefeiert. Auch die Kreatur, das Monster, das Geschöpf, wenn auch „nur“ durch seine Spieler, da seine nun leere Hülle, niedergestreckt da lag. Doch heute schon und noch drei weitere Male, kann man es auf seinem klangvollen tragischen „Lebensweg“ begleiten. Vielleicht ja auch bald in anderen Orten? Zu wünschen wäre es.

 

  • Rezension der Uraufführung am 20.5.2018 in „Kampnagel Hamburg“ von Birgit Kleinfeld, Hamburg
  • weitere Infos, Termine und Kartenvorverkauf unter DIESEM LINK
  • Titelfoto: Hamburgische Staatsoper/FRANKENSTEIN
    Weltpremiere/Claudia Six, Christian Pfütze/ Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

 

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