Hamburgische Staatsoper »Faust«von Charles Gounod/ Foto @ Brinkhoff-Mögenburg

Staatsoper Hamburg: Bericht der Wiederaufnahme von Gounod’s Oper „Faust“ am 15.4.2018

Hamburgische Staatsoper »Faust«von Charles Gounod/ Foto @ Brinkhoff-Mögenburg
Hamburgische Staatsoper
»Faust«von Charles Gounod/ Foto @ Brinkhoff-Mögenburg

Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust


Wiederaufnahme von Gounod’s „Faust“ an der an der Staatsoper Hamburg am 15.4.2018 – * Rezension von Birgit Kleinfeld


Wer kennt sie nicht, Goethes Geschichte vom Gelehrten Doktor Faustus, seinem Wunsch nach ewiger Jugend und lustvollen Leben, den der Teufel in Gestalt von Méphistophélès gerne gewährt. Gering, so sagt der Höllenfürst, sei der Preis. „Hier oben“ diene er Faust, „dort unten“ Faust ihm. Ganze 60 Jahre seines Lebens lang arbeitete Johann Wolfgang Goethe immer wieder an seinem Werk über die Sehnsüchte und Abgründe der Menschen, das wir, ohne uns dessen bewusst zu sein, fast täglich auf die eine oder andere Art ´zitieren. Doch,- und das ist des Pudels Kern – nicht nur die Zitate auch die Zeitlosigkeit und die Wahrhaftigkeit des Inhalts machen den Faust so ergiebig, für Schule, neuere Literatur, Theater, Film und natürlich Oper.


Charles Gounod, schon als junger Mann fasziniert von Goethes Faust, verwendete für seine Oper jedoch nur die Liebesgeschichte zwischen Faust und Maguerite und auch Méphistophélès, den „Geist, der stets veneint“ und „die Kraft,die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“  Mithilfe von unsterblichen Melodien, wie der „Rondo vom goldenen Kalb“, „Faust-Walzer“ oder Valentins melancholischer Arie „ Avant de quitter ces lieux“, die uns fast ebenso beständig begleiten, wie Goethe-Zitate, erzählt Gounod die Geschichte, von Verliebtheit, Verführung, Verzweiflung, Verurteilung und letztlich Erlösung. Er lässt uns schwelgen, leiden und auch entrückt lächeln, mit einer Leichtigkeit und einem Charme, wie sie besonders den französischen Komponisten des 19. Jahrhunderts zu eigen waren. So wundert es nicht, dass sich Faust, spätestens seit der Uraufführung der veränderten Fassung in Paris am 3. März 1869 großer Beliebtheit erfreut.

Christopher Ward / Foto @ csward.com
Christopher Ward / Foto @ csward.com

Gestern war es der designierte Generalmusikdirektor des Aachener Theaters Christopher Ward, der der Musik neues Leben einhauchte. Er dirigiert das, im wahrsten Sinne des Worts harmonisch schön klingende Philharmonisches Staatsorchester Hamburg mit Verve, Feingefühl und einem Körpereinsatz, der vermuten lässt, dass er, das was der Komponist uns mitteilen möchte, wahrhaftig mit(er)fühlt und darum so gut zu Musikern und Publikum transportieren kann.
Aber, gelang es auch Regisseur Andreas Homoki und seinem Bühnen-und Kostümbildner Wolfgang Gussmann ebenfalls, Aussage von Libretto und vor allem Musik gut und verständlich umzusetzen?

 

Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewusst“ (Goethe)

So meldet sich meine zwiegespaltene Seele, denn die Produktion von Homoki und Gusssmann aus dem Jahr 2011 bietet weder viel Gefühlsseligkeit noch ein Übermaß an Provokation. Jene, die Tradionelles dem Regietheater vorziehen, wurden sicherlich enttäuscht, denn das Bühnenbild ist eher schlicht. Vorn, rechts und links der Bühne befinden sich zwei Türen, durch die die Protagonisten, besonders Méphistophélès (Vladimir Baykov) oft auf der einen Seite abgehen, um wenige Takte später auf der anderen Seite wieder aufzutauchen. Ansonsten dominieren zwei schwarze halbrunde, bühnenhohe Elemente den Spielbereich, die spiralähnlich ineinandergreifen. Durch ihr Verschieben wird die bespielbare Bühne vergrößert, sodass ein überdimensionaler, manchmal von ebensolchen Blumentöpfen mit rosa Tulpen umgebener, weißlackierter Stuhl, sichtbar wird. Anfangs steht er aufrecht und beheimatet Marguerite (Anita Hartig), oder eine Porzellan- oder Stoffpuppe, die ihr nachempfunden ist. Später ist er umgekippt, die Blumentöpfe liegen oder stehen leer da. Am Ende dann gibt es mehrere Stühle, die als der Scheiterhaufen dienen, von dem die Kindmörderin Marguerite errettet wird. Dies kann der Zuschauer interpretieren oder einfach annehmen, als ungewöhnliches Bühnenbildelement.

Hamburgische Staatsoper »Faust«von Charles Gounod/ Foto @ Brinkhoff-Mögenburg
Hamburgische Staatsoper
»Faust«von Charles Gounod/ Foto @ Brinkhoff-Mögenburg

Dass Homoki und Gussmann Maguerite, ihre Unschuld und Jugend zu dem goldenen Kalb machen, nach dem jedermann(n) strebt, zeigt sich im Rondo „Le veau d’or“ besonders deutlich, denn da vergehen sich die jungen Männer an dem riesigen Marguerite-Dummie aus Stoff, während Méphistophélès im Takt, wie ein Puppenspieler an unsichtbaren Fäden zieht. Dies ist die einzig wirklich provokante Szene, ansonsten plätschert die Inszenierung, nicht unangenehm, vor sich hin: Die Personenführung der Protagonisten wird den Charakteren gerecht. Auch wird deutlich, dass Méphistophélès das Spiegelbild, das Alterego, von Faust sein soll. Der Chor bildet, wie so oft üblich, eine homogene, eintönige Menge. Alle in Schwarz wie Schulkinder zur Zeit der Stummfilmzeit gekleidet, die Gesichter hinter Porzellanpuppenmasken verbergen. Einzig Siebel (Ruzana Grigorian), Valentin (Alexey Bogdanchikov) und Maguerite (Anita Hartig) zeigen, in Momenten aufrichtiger Zuneigung, ihr wahres Gesicht um es vor der Gesellschaft zu verhüllen.

 

Was glänzt, ist für den Augenblick geboren. Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren(Goethe) 

Méphistophélès ist immer er selbst, immer echt. Abgesehen von den beiden kurzen Momenten bei seinem ersten Auftritt und ganz am Ende, wenn er Faust fast bis aufs Haar ähnelt. ist optisch ein Méphistophélès, wie er im Buche steht: groß, schlank und charismatisch. Stimmlich darf gehofft werden, dass er in den weiteren Vorstellungen noch „eine Schippe drauf legt“ und auch seine Aussprache, besonders der nasalen Vokale noch etwas verbessert.
Darstellerisch hingegen überzeugt der Russe und diplomierte Ingenieur, der erst spät zum Gesang fand. Mag ihm auch hier und da ein Quentchen wahre Boshaftigkeit fehlen. Besonders köstlich ist sein Spiel in der Szene mit Marthe Schwerdtlein
(Marta Świderska) Świderska, die kurzfristig einsprang, verzaubert das Publikum, durch ihre verschroben fröhliche Art, mit der sie Méphistophélès umgarnt, wie auch mit ihrem tiefen Mezzo, der sie auch für so manche Altpartie qualifiziert. Ein kleiner, aber um so feiner Auftritt.

Staatsoper Hamburg/Gruppenfoto-Oper Faust/ Foto @ Ruzana Grigorian
Staatsoper Hamburg/Gruppenfoto-Oper Faust/ Foto @ Ruzana Grigorian

Ähnliches gilt für die russische Mezzosopranisten Ruzana Grigorian und ihren ersten Auftritt in der Rolle des Siebel. Kleine, stimmliche Unsicherheiten sind sicher der Tatsache des Rollendebüts zuzuschreiben. Darstellerisch jedenfalls, ist sie ein Siebel, dessen unerschütterliche Liebe zu Marguerite tief berühre. Auch Alexey Bogdanchikov als Valentin beeindruckt. Er, der über eine Baritonstimme mit einschmeichelndem Timbre verfügt, weiß dieses Geschenk, leider nicht immer wirklich zu nutzen, und bleibt unter seinen Möglichkeiten, die er bereits besonders als Posa und auch als Eugen Onegin unter Beweis stellte. Mit seinem Valentin zeigt er erneut, dass er darstellerisch durchaus in der Lage ist, aus sich herauszukommen, um sich auch größere Gesten zu trauen. Und dass er regelmäßiger seinen nicht geringen Stimmumfang so souverän und selbstverständlich wie gestern zum Einsatz bringt.

 

Gefühl ist alles. Name ist Schall und Rauch“ (Goethe)

Mit einer nicht immer angebrachten, Selbstverständlichkeit singt hingegen, singt Jean-François Borras die Titelrolle. Abgesehen von ein, zwei hingehauchten „Maguerites“, verlässt er sich er auf den Text, als darauf, Gefühl und Ausdruck durch seine Stimme zu zeigen. Er hat einen klaren, metallenen Tenor, wodurch Faust als jugendlicher Liebhaber, auf gewisse Art „entromantisiert“ wird, was einen vielleicht unbedeutenden, interessanten Gesichtspunkt offenbart. Seinem „Salut! Demeure chaste et pure“ fehlt es an Leichtigkeit in den Spitzentönen, doch er wagt sich an jeden einzelnen. Ist das Gefühl, das er übermittelt, auch nicht von der zärtlichen Innigkeit, wie bei anderen Tenöre, so ist Fausts sehnsuchtsvolles Verlangen, doch gut hör- und spürbar. Seine Interpretation der Rolle macht aus dem anfänglich lebensmüden alten Gelehrten, einen neugierigen, lebenshungrigen, jungen Faust, der sich nicht nur durch seinen weißen Anzug und das gänzliche Fehlen einer Maske, von den anderen unterscheidet.

Hamburgische Staatsoper »Faust«von Charles Gounod/ Foto @ Brinkhoff-Mögenburg
Hamburgische Staatsoper
»Faust«von Charles Gounod/ Foto @ Brinkhoff-Mögenburg

In den Duetten mit Anita Hartig (Marguerite) gefällt die Harmonie der beiden Stimmen und auch das gute Zusammenspiel: Borras wird vom selbstsicher fordernden Verführer, zum reumütig zum Retten Entschlossenen und wenn Hartig singt „Pour toi je veux mourir“, meint sie es ernst damit, für den Geliebten sterben zu wollen. Das ist in jeder Geste erkennbar. Ebenso wie es ihr leicht fällt, deutlich zu machen, dass Marguerite sich sehr wohl bewusst ist, dass Faust und Méphistophélès nichts anderes sind, als zwei Seiten ein und derselben Person. Denn sie richtet ihren Entsetzensschrei weder direkt an den einen, noch an den anderen, blickt beide an. Was ihren Gesang angeht, trifft das Zitat „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“, den Eindruck den sie hinterließ, ziemlich genau. Anita Hartig ist mit einer großen Stimme beschenkt, doch, auch wenn, Rollen wie die Mimi in La Bohème“ und auch die Maguerite, als ihre Paraderolle gelten, fehlt ihrem Gesang doch nicht selten die Wärme, die sie im Spiel, so intensiv und mühelos zeigt.
Andererseits … Die besprochene Vorstellung begann, Familien-, aber nicht Sängerfreundlich bereits um 15:00 Uhr und es ist anzunehmen, dass die vier noch folgenden Abendvorstellungen, weniger zu Bemängelndes, bei ansonsten gleich bleibender Qualität zu bieten haben werden.

In diesem Sinne:
Die Kunst ist lang! Und kurz ist unser Leben. (Goethe)
Drum lasst genießen uns, stets, was uns wird gegeben.

 

© DAS OPERNMAGAZIN-APRIL 2018 / Birgit Kleinfeld

 

  • Titelfoto: Hamburgische Staatsoper
    »Faust«von Charles Gounod/ Foto @ Brinkhoff-Mögenburg
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