Oper Bonn: Miriam Clark in Verdis La Traviata – Eine Aufführung der Ruhe und des Zuhörens

18132_traviata_wa2013_9031_preview (1)Alte,  mehrfach aufgewärmte  oder auch übernommene Inszenierungen können reifen oder leiden. Letzteres, wenn viele Aktionen, viel Technik, viele Ecken und Grate  oder überraschende Momente da sind: Kantiges wird rund, die Inszenierung verflacht. Ganz anders bei einfach erzählten Ereignissen mit wenig Ausstattung und unaufgeregter Personenführung: da kann eine Geschichte noch überzeugender und eindringlicher werden.

Und wenn man dann noch das  Vergnügen hat, die Frühphase einer aufstrebenden jungen Sängerin miterleben zu dürfen, kann das Opernglück schon perfekt sein. So geschehen in  der Oper Bonn, denn Miriam Clark sang die Violetta.

Der Rezensent gesteht freimütig, in fortgeschrittenem Alter, wechselnden Vorlieben und trotz ungezählter Inszenierung immer noch ein bekennender Traviata-Fan  und neuerdings auch ein Miriam-Clark-Verehrer zu sein, infiziert durch mehrfachen Besuch der Norma in Bonn, wo sie derzeit in der Titelrolle auf der Bühne steht. Clark, Tochter eines US-Amerikaners mit karibischen und einer Mutter mit ungarischen Wurzeln, in Frankfurt geboren und in München  ausgebildet, kam über das Musical („König der Löwen“) zur Oper. Als Karrieresprünge sind die Königin der Nacht in Frankfurt, die Norma in Dortmund und halt Bonn mit Lakmè und noch einmal Norma; sie konnte sich jüngst über den Kulturförderpreis des Landes NRW und den Kritikerpreis der Welt am Sonntag als beste Nachwuchssängerin freuen.

18118_traviata_wa2013_8082_previewDie Inszenierung des Ungarn Andreas Homoki , in seiner Frühphase auch Spielleiter in Köln, war 2006 von Bonn wegen Erkrankung des vorgesehenen Regisseur Hans Neuenfels quasi in einer Notsituation aus Leipzig übernommen worden, hatte eine von Publikum und Presse umjubelte Premiere und ist immer mal wieder aufgenommen worden. Und nun mit Miriam.

Drei Dinge kamen in Bonn zusammen: eine faszinierend entschlackte Geschichte, mit Sibylle Wagner eine Dirigentin, die höchst subtil der Sängerin Zeit und Raum zum Aussingen und Gestalten gab, und für den Rezensenten ein intensives Zuhören wie lange nicht. Schade nur, dass das volle Haus immer in die Arien hineinklatschte, anstatt sie im Kopf ein wenig nachklingen zu lassen. Ein kleines Ärgernis stellte der klangschöne, aber durchgängig unpräzise Chor dar, obwohl seine Chefin an diesem Abend selbst den Stab führte. Die Inszenierung ist vielfach besprochen und gelobt worden, dennoch seien hier einige persönliche Anmerkungen gestattet. Der Verzicht auf aufwändige Ausstattung  und bunte Kostüme – hier war nur Schwarz-weiß angesagt inklusive der Möbel – lenken nicht den Blick auf opulente Details, in die Bühnenbildner so gerne prächtig schwelgen. Nein, man hatte auf einmal Muße zum Zuhören und Sinnieren, alles schien länger zu dauern, mehr Zeit zu haben. Nach aktuellem Sprachgebrauch: Entschleunigt. Oder auch: Konzertante Aufführung im Kostüm.

18139_traviata_wa2013_9344_previewDazu passte auch die Möglichkeit des nahtlosen Übergang der drei Akte, da auf der Bühne nichts umzuräumen war. Weiße Blumen, die zum Landhausakt  aus dem Boden sprossen, ein paar Stühle bei der Pariser Party, wo das hier schwarze Kleid der ansonsten weiß gekleideten Violetta fiel und zum Sterbelager wurde. Die einzige Pause war – ganz unüblich aber sehr angenehm – vor der Szene in Flora´s Pariser Haus. Richtig Gänsehaut machte der Übergang zum dritten Akt. Die sterbenskranke Violetta versucht Kontakt zur Partygesellschaft zu halten, die sich aber geschlossen von ihr wegwendet, lange noch stehenbleibt mit dem Rücken zu ihr. Verstoßen, da nicht mehr interessant, singt sie auf der Erde liegend mit berückender Schlichtheit und Ruhe.

18111_traviata_wa2013_8010_previewClark präsentiert ein riesiges Spektrum von gehauchtem Piano, unendlichen Spannungsbögen, traumwandlerischer  Sicherheit in den Spitzentönen, schlichter und anrührender Bewegung, und mit sehr viel Seele der liebenden, enttäuschten und sterbend noch hoffenden Frau; sie spielt nicht, sie ist  die Traviata in persona. Wahrlich ein spektakuläres Debüt und eine nachhaltige Entdeckung für diese Rolle. Natürlich sollen auch die Mitstreiter genannt werden: Papa Germont von Aris Argiris mit wohlklingenden, für die Rolle allerdings etwas höhenlastigem Bariton und Sohn Alfredo von Mirko Roschkowski mit wunderbar lyrischen Passagen standen Clark in nichts nach; beide ansonsten souverän in Stimme und Rollengestaltung, ebenso die Comprimarii.

Miriam Clark-Foto: www.franziska-schroedinger.deWenn Miriam Clark behutsam und ökonomisch mit ihrer Stimme umgeht  – Negativbeispiele gibt es reichlich – darf man vielleicht dereinst sagen, einen  Weltstar in seiner Frühphase gehört zu haben. Wien, London und New York hat sie auf jeden Fall angepeilt, Bonn steht in der kommenden Saison dem Vernehmen nach nicht mehr auf ihrer Agenda. Aber noch ein paar mal vom Opernfreund hoch geschätzte Norma; man nutze die Gelegenheit.

(besuchte Vorstellung 26.4.2013)

Kritik von Michael Cramer www.deropernfreund.de

Fotos: Dank für die fabelhaften Bilder an Lilian Szokody www.szokody.de/

*Termine und Karten HIER

 

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