Moritz Eggert / Foto @ Mara Eggert

Moritz Eggert: „Ich hasse Oper“- Eine Rede für die Jahresfeier der Akademie Musiktheater Heute

Moritz Eggert / Foto @ Katharina Dubno
Moritz Eggert / Foto @ Katharina Dubno

Diese Rede hielt ich letzten Mittwoch in Frankfurt, Holzfoyer der Oper Frankfurt

 

Ich hasse Oper. Und damit ihr mich nicht falsch versteht und dies für eine Rede haltet, die sich für irgendein verschwurbeltes angeblich „neues“ Genre entflammt: ich hasse auch Musiktheater. 

Ich hasse diesen ganzen monströsen Zirkus der Eitelkeiten. Ich hasse die Komponisten, die nur eine Oper schreiben wollen, weil sie das Gefühl haben, es müsse in ihrer Biografie stehen, die aber von Theater und Bühne nicht die geringste Ahnung haben. Ich hasse die Schriftsteller, die genau dasselbe tun, und die haben meistens auch keine Ahnung vom Theater. Ich hasse die Regisseure, die sich einen Scheiß darum scheren, was Komponist und Schriftsteller sich gedacht haben, ihr eigenes Ego über alles stellen und dann ein ganz anderes Stück machen, nämlich eins das sie selber gerne schreiben würden, aber nicht können. Ich hasse die Dramaturgen, die nie das in einem Stück erkennen was wirklich gut ist und funktioniert, aber dann genau dies ändern wollen, die aber gleichzeitig zu feige sind, dem Regisseur zu widersprechen, wenn er kompletten Mist baut. Ich hasse die Dirigenten, die bei dem Ganzen dann auch nur an sich denken und am liebsten die Sänger in einer Reihe vor sich stehen haben, damit sie sie nicht verwechseln, denn bei den Proben hat ja immer der Assistent dirigiert. Ich hasse die Bühnenbildner, die keine Lust mehr auf Verwandlungen (dieses magischste Mittel des Theaters) haben und alles in immer den gleichen Einheitsbühnenbildern spielen lassen, am besten ohne Wände an der Seite oder hinten, damit man auf jeden Fall die schlechtest mögliche Akustik für die Sänger hat. Ich hasse die Operndirektoren und Intendanten, die sich –  wenn es nicht nötig ist – auf jeden Fall einmischen, und die sich dann – wenn es dringend nötig wäre – auf jeden Fall heraushalten. Und die dafür sorgen, dass auf jeden Fall die erfolgreichen und schönen Stücke ihrer Vorgänger möglichst schnell vom Spielplan verschwinden müssen, ebenso wie die halbe Belegschaft des Theaters. Ich hasse diese ganzen Chorgewerkschaften, Orchestergewerkschaften, die schon längst aufgegeben haben, Kunst machen zu wollen, aus lauter Frust vor der eingebildeten eigenen Bedeutungslosigkeit, und die von morgens bis abends nichts Anderes glücklich macht, als Kunst zu verhindern, Kunst zu unterbinden, Kunst unmöglich zu machen. Irgendwo dazwischen sind die Sänger, Schauspieler und Tänzer, die aus irgendeinem Grund in dieser Hierarchie ganz, ganz unten sind und jederzeit gekündigt werden können, weswegen sie einen starken Hang zum Diventum entwickeln, was wiederum alle anderen nervt. Der Einfachheit halber und um diesen Text eine gewisse Symmetrie zu geben, hasse ich sie jetzt einfach mal auch.

Ihr merkt, dieses ganze Gebilde Staatstheater, Stadttheater, Landestheater…es ist ein einziger Irrsinn. Niemand weiß, warum das Ganze überhaupt funktioniert, denn es sind oft Orte in denen einzig und allein der Wahnsinn herrscht. Ich fühle mich wie Schönberg, der seinen Schülern ständig predigte, dass der Komponistenberuf ein einziger Idiotismus ist, dass man sofort mit dem Komponieren aufhören sollte, denn man könne es nie lernen. Ich fühle mich wie Thomas Bernhard, der das Theater und die Städte in denen die Theater standen und alle die in diesen Theatern wirkten und alle die diesen Theatern Geld gaben abgrundtief hasste, und das wahrscheinlich zu recht, und der dennoch ein Theaterstück nach dem anderen schrieb, vielleicht weil er sich selbst auch hasste.

Ihr merkt, ich gebe mir alle Mühe, euch vor diesem schrecklichen Schicksal zu bewahren. Wenn ihr ein Opernhaus seht: macht einen großen Bogen. Geht lieber in die nächste Dönerbude, denn dort werdet ihr das Leben und die Wirklichkeit finden, aber auf keinen Fall im Theater. Und denkt bitte nicht etwa, dass es in der sogenannten „Freien Szene“ irgendwie besser ist. Dort gibt es exakt dieselben frustrierten Gestalten, die ich oben beschrieben habe, und sie veranstalten genau denselben Irrsinn, mit dem einzigen Unterschied, dass sie dafür noch nicht einmal mehr Geld bekommen.

Ihr merkt, ich nehme Bezug auf die Frage, die ich den Komponisten dieses Jahr gestellt habe: „Was nervt euch am zeitgenössischen Musiktheater am meisten?“. Tatsächlich muss ich inzwischen selber bei dem Begriff „zeitgenössisches Musiktheater“ sofort kotzen. Viele von euch waren ob dieser Frage so beleidigt, dass sie mir lange Traktate schrieben, warum ich Unrecht habe. Das hat mir ehrlich gesagt ganz gut gefallen, denn wo sich Widerstand regt, ist wenigstens noch ein bisschen Leben in der Bude, und genau dieses Leben ist ja komplett verschwunden aus unseren geförderten und abhängigen und gepamperten Theaterchen, in denen Oper meistens gar nicht aus einem inneren oder äußeren Bedürfnis gemacht wird, sondern nur, um irgendwelche Spielpläne zu füllen. Und das am besten mit immer demselben Repertoire von ungefähr 3 verschiedenen natürlich alten Opern.

Ich schaue euch also in die Augen, ihr jungen, gierigen Nachwuchstalente. Seid ihr schon abgeschreckt? Ihr könnt noch zurück, ihr könnt jetzt noch das tolle Stipendium der Deutschen Bank Stiftung zurückgeben, die Tür ist dort. Draußen tobt der Frankfurter Bär! Na? Was ist?

Ich sehe, ihr seid schwierige Fälle. Ich sehe in euren Augen diesen ganz speziellen Glanz, wie ihn nur egomanische Künstler haben. Davor habe ich einen gewissen Respekt. Ihr seid alle auf der Suche. Vor allem erst einmal nach euch selbst, aber auch nach Bestätigung, Anerkennung. Ihr seid voller Ideen, ihr wollt alles besser machen als zum Beispiel die alten Säcke, die euch Jahr für Jahr auswählen, zum Beispiel ich. Ich kann mich gut an dieses Gefühl erinnern, denn ich war genauso wie ihr.

Moritz Eggert / Foto @ Astrid Ackermann
Moritz Eggert / Foto @ Astrid Ackermann

Aber wisst ihr, was mich tatsächlich glücklich macht? Dass ich dieses Feuer noch in mir spüre. Ja, Jahrzehnte des Wahnsinns haben mich noch nicht mürbe gemacht. Sicherlich auch wahnsinnig, aber nicht mürbe. Ich möchte weiter gegen diese gigantische Mauer rennen, die sich Oper, Musiktheater oder fucking Werkstatt-Labor-Work-in-Progress oder was auch immer nennt. Und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass ihr dieses Feuer, diesen Zorn oder was auch immer bewahrt, dass ihr ihn weitertragt, um diesen magischen Raum der Bühne zu erfüllen, diesen zwar verrückten aber eben auch heiligen Raum der Wahrheit, der das Leben zu transzendieren vermag.

Natürlich habe ich euch vor wenigen Momenten das Operngeschäft in schlimmsten Farben beschrieben. Ich habe keineswegs übertrieben. Ich habe selber zu viel gesehen, Regisseure die Weinflaschen auf Dirigenten werfen, über die Köpfe des Publikums hinweg, bis diese am Orchestergraben zerschellen. Regisseure, die in letzteren fallen und dabei fast oder auch ganz umkommen. Wahnwitzige Szenen, in denen sich alle nur noch anschreien, außer, es kommt jemand Unbeteiligtes in den Probenraum, dann schreien alle zusammen diesen an. Ich habe Produktionen erlebt, bei denen alle sich solange den schwarzen Peter zuschieben, bis er letztlich bei der Souffleuse landet, und die fängt dann an zu weinen, weil sie die einzige war, die tatsächlich keinen Fehler gemacht hatte.

Dennoch, so seltsam es klingt: bei all diesem Chaos bleibt eine Gewissheit. Am Ende kommt der Moment der Wahrheit. Der Vorhang geht auf, oder der Eiserne. Oder vielleicht gibt es auch keinen Vorhang, das ist ja auch sehr beliebt: die Mitwirkenden lungern schon stundenlang auf der Bühne rum, während das Publikum reinkommt. Vielleicht gibt es auch gar keine Bühne.

Aber der Moment der Wahrheit, der kommt. Und wenn er kommt, dieser wilde Raum, den unsere genialen und verrückten u.a. griechischen Vorväter erfunden haben, ach was, schon viel früher wurde er erfunden, schon am Lagerfeuer der Steinzeitmenschen, als der erste Geschichtenerzähler wie Frederik die Maus den kalten Winter erträglicher machte…wenn er kommt, dieser wilde Raum, dann kann alles passieren. Und das ist tatsächlich magisch.

Das Operngeschäft ist dabei ein bisschen wie ein Besuch im Casino. Man kann nicht planen, dass man dort gewinnt, genauso wenig wie man eine gute Produktion garantieren kann, wenn man lauter berühmte Leute engagiert. Aber wenn man gewinnt, ist es wie ein Wunder, dass einen süchtig macht

Das Schöne an der Oper ist aber, dass wenn sie gelingt, es ein Wunder für alle ist. Für die Beteiligten, aber vor allem auch für die Zuschauer, wenn sie offenen und reinen Herzens sind, was unter Kritikern leider selten bis gar nicht anzutreffen ist. Aber das ist nicht wichtig – wenn er entsteht, dieser Moment der Wahrheit, dann ist es so ungeheuerlich, dass man ihn nie wieder vergessen wird.

Ich kann mich an diesen Zauber des Theaters gut erinnern. Nicht weit von hier bin ich aufgewachsen, in den Kellern und Höhlen der Frankfurter Oper, als Theaterkind mit schlechtem Teint wegen der unmöglichen Kantinenernährung. Wer einmal diesen Zauber erlebt hat, wird ihn nicht mehr los. Es gibt da diesen bestimmten Geruch der Bühne, es ist schwer zu beschreiben. Man kann das nicht mit einer Bank verwechseln und es in Brand setzen, wenn man bei Sinnen ist (so wie hier in Frankfurt geschehen). Man ist für das Leben geprägt.

Aber es ist nicht wichtig, ob man Theaterkind ist oder nicht. Jeder von euch kann ein Theaterkind werden. Und das Schöne daran ist, irgendwann werdet ihr Theatermütter und Theaterväter sein, ihr werdet neue Kinder in die Welt setzen, Stücke, echte Kinder, das bleibt ganz euch überlassen.

Vergesst nie: Es ist keine Schande, diese Welt mit Schönheit zu füllen. Ihr müsst niemandem etwas beweisen. Macht das, was ihr liebt, für das ihr brennt. Macht nicht das, was anderen imponieren soll. In diesem unerträglichen Fanal der Eitelkeiten könnt ihr gewinnen, wenn eure Eitelkeit – und wir sind alle nicht frei davon – zur Selbstironie wird. Dann habt ihr schon halb gewonnen.

Verausgabt euch. Es ist kein leichter Beruf. Es wird Widerstände geben. Kämpft dagegen. Kämpft um das heilige Wunder der Imagination, das nur möglich ist, wenn ihr daran glaubt, wenn ihr euch nicht zermürben lasst. Ihr werdet auch Freunde finden. Ihr werdet Komponisten finden, denen der Zauber der Töne gelingt, die keine Konzepte abarbeiten sondern die inneren, eigenen Töne aufschreiben. Ihr werdet Autoren finden, die mit wenigen Worten eine Welt schaffen können, in denen sich Abgründe auftun. Ihr werdet Regisseuren voller Einfühlungsvermögen begegnen, die bei den Proben eine herzliche und freundliche Stimmung erzeugen, sodass alle ihr Bestes geben. Ihr werdet klugen Dramaturgen begegnen, die den Mitwirkenden neue Einsichten geben und mit konstruktiver Kritik weiterhelfen. Ihr werdet charmanten Theaterchefs begegnen, die mit voller Leidenschaft Impresarios sind und ihre Belegschaft lieben und unterstützen, weil die Show immer weitergehen muss. Ja, ihr werdet auch bescheidenen und hochbegabten Dirigenten begegnen, die sich mit vollem Einsatz einbringen, von Anfang an. Ihr werdet Bühnenbildnern begegnen, deren Bühnenbilder so schön sind, dass sie sie im Louvre ausstellen sollten, wenn sie nicht genau das schon tun. Ihr werdet fantastische Orchester, geniale Sänger, virtuose Tänzer erleben, die euch mit ihrer Kunst zu Tränen rühren. Und am Ende des Tages, wird euch eine wirklich herzliche und großartige Opernpförtnerin einen guten Abend wünschen. Die ist übrigens die wichtigste im ganzen Haus.

Ihr denkt dass ich zu kitschig bin und übertreibe? Schämt euch. Ihr solltet euch lieber darum kümmern, das was ich gerade beschrieben habe wahr zu machen. Seid sanftmütig. Seid loyal. Seid geil. Seid vor allem anders.

Wie konnte ich diese wunderbare Kunst, das Theater, auch nur einen Moment hassen? Man müsste wahnsinnig sein, das zu tun. Leider muss man auch wahnsinnig sein, es zu machen. Das Theater meine ich.

Ich bin am Ende mit meiner Tirade, die eigentlich eine versteckte Liebesode war. Man kann nur das wirklich lieben, dessen Abgründe man ertragen kann. Das gilt besonders für die Oper.

Ich wünsche euch von Herzen, dass ihr die Bühnen dieser Welt bevölkert und wunderbar seid. Nur Verrückte wie wir können diesen Traum weiter träumen. Möge dieser wilde Traum nie enden, denn ihr dürft nie vergessen: ohne die Imagination gibt es auch keine Wirklichkeit.

Moritz Eggert, 27.9.2016

*Vielen Dank an Moritz Eggert für diesen lesenswerten Text und für die freundliche Zustimmung ihn hier veröffentlichen zu dürfen

*Link: Homepage des Künstlers Moritz Eggert

*Titelfoto: Moritz Eggert-1-©-Mara Eggert.jpg

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Ein Gedanke zu „Moritz Eggert: „Ich hasse Oper“- Eine Rede für die Jahresfeier der Akademie Musiktheater Heute

  1. Wie klar und präzise in Worte gefaßt – wunderbar! Ich habe mir die Rede ausgedruckt. Ich denke, für viele Menschen in ihrer eigenen Ausbildung, ihrem Beruf und ihrer eigenen Lebensgestaltung kann sie wegweisend sein – auch für Menschen die mit der Oper gar nichts anzufangen wissen. Hinter den Zeilen meine ich die persönliche Entscheidung zu lesen, wirklich lebendig bei der eigenen Sache zu bleiben und sich immer wieder aufs Neue von ihr fordern zu lassen. Wenn man das verfolgt, dann verblasst das, was man hasst.

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