Falk Struckmann, Simone Schneider, Christopher Ventris, Kartal Karagedik, Thomas Ebenstein, Mélissa Petit und Chor der Hamburgischen Staatsoper / Foto @ Arno Declair

„Deutsche Hausbackenheit statt Provokation“ – Premiere von Beethovens Oper „Fidelio“ an der Staatsoper Hamburg

Thomas Ebenstein und Mélissa Petit / Foto @ Arno Declair
Thomas Ebenstein und Mélissa Petit / Foto @ Arno Declair

Am vergangenen Sonntag (28.1.2018) hatte Ludwig van Beethovens Oper „Fidelio“ an der Hamburger Staatsoper seine Premiere. Der Abend wurde mit der üblichen Spannung, aber ebenso mit mehr Skepsis als andere Produktionen erwartet, da Hausherr George Delnon zum ersten Male am eigenen Haus auch für die Regie verantwortlich war. Beethovens einzige Oper gehört zu den <3Rettungs- und Befreiungsopern“, die Ende des 18. Jahrhunderts besonders in Frankreich einen Boom erlebten. In diesen Opern geht es zum einen um Liebe und auf der anderen Seite um Befreiung aus (politischer) Bedrängnis. In „Fidelio“ verdingt sich Leonore als Mann verkleidet als Bursche bei Kerkermeister Rocco in jenem Kerker, in dem ihr Gatte Florestan als unschuldiger, politischer Gefangener festgehalten wird.  Es gelingt ihr tatsächlich, ihn zu befreien. Dank des Ministers und Freund Florestans, Don Fernando, wird willkürliche Grausamkeit beendet und auch den anderen Gefangenen die Freiheit geschenkt. 


Ein Interview mit Delnon im „Journal“ der „Staatsoper Hamburg“ mit dem Titel „Der Lohn der Mutigen“, wie auch ein Text auf der Staatsopern-Website ließen ein klares politisches Statement erwarten. Vielleicht sogar ein wenig Provokation. Denn es wurden dort Fragen gestellt, welche Freiheit gemeint sei und was danach geschehe. Auch wurde Florestan „ein republikanischer Jesus, der für uns gefangen war“ genannt und Leonore „ein neuer Typ Frau, die politische Verantwortung zu tragen imstande ist“.
Im Programmheft dann lauten Überschriften „Was bedeutet Deutschsein?“ Und „Die Mauer ist nicht gefallen“. Die szenische Umsetzung verzichtet auf allzu eindeutige Hinweise auf das dritte Reich. Sie ist subtiler, vielleicht zu subtil und mit anderer Wirkung als beabsichtigt. So hat jener Herr, der meinte „Da zündet nichts“, nicht ganz unrecht. Man wird nicht ohne eigenes Zutun mitgerissen.
Doch ist man – nur ein wenig – bereit zu entdecken und auch im Kleinen etwas zu finden, so verlässt man das Theater vielleicht nicht vorhaltlos begeistert, doch angenehm zufrieden. Auch wenn einzuräumen bleibt, dass einiges nicht ganz schlüssig scheint.
Die massiven „Buhs“ waren in diesem Ausmaß dennoch nicht gerechtfertigt. Galten vermutlich zu einem Teil auch George Delnon in seiner Funktion als Intendant, der uns bisher nicht die versprochenen, erhofften „Wunder“ der Veränderung zurück zur Weltspitze der Theater brachte. Doch ist dies eine andere Geschichte.

Die Geschichte, die Delnon erzählen lässt, beginnt in idyllischer Atmosphäre. Wir befinden uns in Roccos (Falk Struckmann) Wohnzimmer, wo Töchterchen Marzelline (Mélissa Petit) an einem schäbigen Klavier brav „Für Elise“ spielt.
Kostümbildnerin Lydia Kirchleitner und Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer schicken uns in einen Zeitraum irgendwo zwischen den 1920igern und 1950igern. Oder auch in die Zeitlosigkeit. Die Bühne ist weitgehend leer, bis auf eben jenes Klavier, einige Tisch- und Stuhlkombinationen und ausfahrbaren Regalen. Die Linien sind klar und schnörkellos. Selbst die rosageblümte Tapete ist nicht sehr auffällig. Das Augenmerk liegt auf der, vom Bühnenboden bis zum Bühnenhimmel reichenden Fensterfront im Bauhausstil, hinter der ein typisch deutscher Laubwald mit seinem saftigen, leuchtenden Grün die Blicke auf sich zieht. Es handelt sich um eine Videoprojektion aus der Feder des Videokünstler-Duos „fettFilm“ und scheint in manchen Szenen das Haus regelrecht zu verschlingen, weil er immer näher zu kommen scheint. Wie ein wahrer Wald beherbergt auch dieser Tiere. So schaut ein riesiges Reh, wie als Zeichen der Unschuld und Reinheit. durch das Fenster wenn Rocco Fidelio/Leonore (Simone Schneider) Marzellines Hand anbietet. Am Anfang des zweiten Aktes, wenn erst Jaquino (Thomas Ebenstein) und dann Don Pizarro (Werner Van Mechelen) im Bühnenhintergrund vergeblich versuchen, ihr eben diese Unschuld zu nehmen, ist es ein riesiger weißer Wolf, die Verkörperung des Bösen, der bedrohlich in den Raum schaut.

 

Christopher Ventris, Falk Struckmann, Simone Schneider und Werner Van Mechelen / Foto @ Arno Declair
Christopher Ventris, Falk Struckmann, Simone Schneider und Werner Van Mechelen / Foto @ Arno Declair

Nur in diesem Akt bedienen sich Delnon und sein Team einer sichtbaren Raumunterteilung, wenn im Bühnenvordergrund Florestans (Christopher Ventris) zweiteilige Zelle zu sehen ist. Ansonsten spielt sich alles, wirklich alles, in Roccos Wohnzimmer ab. So beherbergen die Regale anfangs Berge von Aktenordner. Später dienen sie als „Zelle“ für die Gefangenen oder auch als Folterkammer. Denn während Pizarros ersten Auftritts ist dort ein an den Füßen Aufgehängter zu sehen. Ein weitere Spielart Delnons mit Symbolen zu arbeiten;  geht es um mehr als Folter? Ist doch der Gehängte eine Tarotkarte, die für eine positive Wende im Leben steht. Wie dem auch sei, eine konkrete Trennung zwischen Gefangenen und denen, die sich auf der anderen Seiter, der nicht vorhandenen Gitter befinden, ist nicht gegeben.

Wenn Leonore/Fidelio einen Spaziergang im Garten für die Gefangenen erbittet, erheben sie sich einfach. Denn sie lagen im ganzen Raum verteilt auf dem Boden. Beeindruckt diese Szene auch, so wirft sie doch auch Fragen auf. Denn hier böte sich die Chance, zu zeigen, auf welche Art und Weise Leonore „politische Verantwortung“ übernimmt. Denn sie geht nicht auf die Gefangenen zu, sondern weicht vor ihnen zurück, verdeutlicht so, dass es ihr wirklich allein um die Rettung von Florestan geht und um „treue Gattenliebe“.

 

Simone Schneider / Foto @ Arno Declair
Simone Schneider / Foto @ Arno Declair

Simone Schneider, die nicht nur ihr Rollen-,  sondern auch ihr Hausdebüt an diesem Abend gab, tut sich etwas schwer zu überzeugen. So fehlte es ihr zumindest im ersten Akt an der heroischen Ausstrahlung, die man von einer Frau wie Leonore, selbst – oder gerade -, in der Verkleidung als Mann erwartet. Auch stimmlich dauerte es, bis der Funke übersprang. Sie verfügt über eine große, den ganzen Saal füllende Stimme, sichere Höhen, aber auch einen metallisch, leicht nasalen Klang. Doch bereits am Ende ihrer Arie „Abscheulicher, wo eilst Du hin“, verflüchtigen sich Zweifel und Abstriche weitgehend.
Sie berührt und bewegt, wenn sie endlich Florestan gegenübersteht und ebenso wie er, nicht in der Lage ist ihn in die Arme zu schließen, sondern beide vorsichtig, wie tastend, die Hände aneinanderlegen. Auch schon früher in der Kerkerszene legt sie alle beobachtete Scheu ab. Hier ist sie ganz die Liebende, die Starke, die nur für einen Moment daran verzweifelt, dass sie den Peiniger ihres Mannes nicht töten kann. Dann jedoch die Gegenwart des Geliebten genießt. Eine Steigerung ihrer Leistung scheint wahrscheinlich.


Es bleibt zu hoffen, dass dies auch für
Christopher Ventris als Florestan gilt, denn er schien mir m.E. sehr überfordert. Bei seiner Arie „O Gott, welch Dunkel hier“, liegt er, an das berühmte David-Gemälde von Jean-Paul Marat erinnernd, in der Badewanne. Gut, es ist eine Diskrepanz, wenn er seine Zeilen von grellem Neonlicht beleuchtet, singt. Und sicher, ist es nicht all zu weit hergeholt, auf das Dunkel in seinem Inneren zu verweisen. Doch Ventris‘ nicht exakt oder auch gar nicht gesungenen Töne, lassen sich nicht allein dadurch erklären, dass er tiefe Emotionen gegen kühle Technik eintauscht.
Wenn er und Leonore sich wieder vereintes Paar, alleine vor dem schwarzen Vorhangnäher kommen, blieb an diesem Abend, einer seiner wenigen überzeugenden Momente. Ein weiterer ist, wenn er, alleine mit Leonore in Roccos Wohnzimmer steht und das, was die beiden sich in anderen Aufführungen sagen, als Stimmen aus dem Off kommt: Hörbar gemachte Gedanken,da die Kraft zum Sprechen fehlt.

Neben der Liebe, die Freiheit schenkt – oder ist es Freiheit, die Liebe schenkt – gibt es noch jene Liebe, die sich Freiheiten herausnimmt. So wie es Jaquino gegenüber Marzelline tut. Schon in der Anfangsszene im ersten Akt macht er halbherzige, unsittliche Annäherungsversuche, die er im Laufe des Stückes dann intensiver, wiederholt. Thomas Ebenstein gibt dieser Figur Züge von deutscher Redlichkeit unter der es leidenschaftlich, bis unbeherrscht brodelt. Dass seine Stimme für das deutsche Fach wie geschaffen ist, hatte er bereits als Pedrillo in Mozarts „Entführung“ aus dem Serail bewiesen.

Werner Van Mechelen, Falk Struckmann und Mitglieder des Chores der Hamburgischen Staatsoper / Foto @ Arno Declair
Werner Van Mechelen, Falk Struckmann und Mitglieder des Chores der Hamburgischen Staatsoper / Foto @ Arno Declair

Mélissa Petit ist, mit ihrer jugendlich verspielten und doch da wo es nötig ist, ernsthaften Ausstrahlung, eine sehr erfrischende Marzelline. Vielleicht ist es ihre Rolle, an der deutlich wird, dass man vieles sagen, aber Georges Delnon, ein Geschick für Personenführung nicht absprechen kann. Zu Beginn ist sie Papas braves Mädchen. Erst als er die Bühne verlassen hat, tauscht sie die braven Halbschuhe gegen Pumps, bewegt sich hüftschwingend zu ihrer Arie. Auch wenn die Haupthandlung sich im Vordergrund abspielt, versteht es Petit in der Szene, wenn sie überrascht von Pizarro, im Hintergrund ihr Brautkleid anprobiert, Spannung in diesen Moment zu bringen. Ihr glockenheller Sopran, ist voller geworden in den letzten Jahren, ihre Stimme hat die Besonderheit der Wiedererkennbarkeit und sie führt sie, als sei dies spielerisch leicht.

 

Werner Van Mechelen als Pizarro gelingt es, darstellerisch vor den Augen des Publikums, den schleimig-korrekten Beamten erstehen zu lassen, gesanglich und klanglich wirkt er jedoch ungewollt unangenehm. Seine gute Bühnenpräsenz lässt sich jedoch nicht bestreiten. So zieht er die Aufmerksamkeit schon auf sich, wenn er das Radio anschaltet und, als sei es ein Hörspiel, die Stimmen von Rocco und Leonore auf ihrem Weg zu Florestan, erklingen. Falk Struckmann ist ein jovialer Kerkermeister und liebender Vater, dessen warmen Bass man auch in anderen, ähnlichen Rollen hören möchte. Bleibt noch Kartal Karagedik als Don Fernando. Er beeindruckt in seinem kurzen Auftritt durch fast aristokratische Ausstrahlung und eine schöne Stimme, die, singt er demnächst den Eugen Onegin, noch mehr zum Einsatz und zur Geltung kommen darf.

Falk Struckmann, Simone Schneider, Christopher Ventris, Kartal Karagedik, Thomas Ebenstein, Mélissa Petit und Chor der Hamburgischen Staatsoper / Foto @ Arno Declair
Falk Struckmann, Simone Schneider, Christopher Ventris, Kartal Karagedik, Thomas Ebenstein, Mélissa Petit und Chor der Hamburgischen Staatsoper / Foto @ Arno Declair

„… Aber die Musik ist so schön!“, war eine weitere Aussage jenes Herrn, der szenisch einen Funken der Begeisterung spürte. Hier gebe ich ihm nun mehr als nur teilweise recht. Beethovens Fidelio lässt, ohne das die gesanglichen Parts zu kurz kommen, keinen Zweifel daran, dass er vorzog, ansonsten sinfonische oder instrumentale Stücke zu komponieren. Auch Generalmusikdirektor Kent Nagano bewies eine „besonders Händchen“ für die sinfonischen Teile der Oper. Er und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, boten mit der Fidelio-Ouvertüre einen phänomenalen Einstieg in einen Abend, bei dem es aus dem Graben auch sonst Schönes zu hören gab und der, abgesehen von den „Buhs“, den Applaus bekam, den er verdient. Und der durch die Schlussszene „Wer ein holdes Weib errungen“, zeigt, dass es Gemeinsamkeit und das Ganze ist, was zählt: Denn nicht Leonore und Florestan stehen im Mittelpunkt des Geschehens, sondern sie stehen in mitten der Menge, die das Volk ist.

 

  • Rezension der Premiere vom 28.1.2018, Birgit Kleinfeld, Hamburg
  • weitere Infos, Termine und Karten unter DIESEM LINK

 

  • Titelfoto: Falk Struckmann, Simone Schneider, Christopher Ventris, Kartal Karagedik, Thomas Ebenstein, Mélissa Petit und Chor der Hamburgischen Staatsoper / Foto @ Arno Declair
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